»Hat er nichts zu tun?«
Verwunderung über Bezirksbürgermeister in Elternzeit
Felix gluckst vor Freude und strahlt über das ganze Gesicht. Sein Vater hat den neun Monate alten Jungen aus dem Kinderwagen genommen und an ein Spielgerät aus Seil gehängt. Das ist etwas zum Anfassen, eine neue Erfahrung. Felix freut sich. Die Spaziergänge mit seinem Vater im Kinderwagen durch das Köpenicker Allende-Viertel mit Spielplätzen und Einkaufszentrum gehören jetzt zu Felix’ Alltag. Sein Vater hat zwei Monate Elternzeit und anschließend einen Monat Urlaub für ihn. Zuvor hatte Felix’ Vater eher wenig Zeit mit Felix verbracht. Denn Vater Oliver Igel (SPD) ist Bezirksbürgermeister in Treptow-Köpenick.
Ein Bürgermeister in Elternzeit? Geht das? »Meine Kollegen im Bezirksamt reagieren da mit großem Verständnis«, sagt der 36-jährige SPD-Politiker. Seine Stellvertreterin Ines Feierabend (LINKE) bestätigt das: »Es gab im Bezirksamt nie eine Diskussion. Ich persönlich finde, die Elternzeit ist für Herrn Igel eine Chance, in einer wichtigen Lebensphase Kontakt zu seinem Kind aufzubauen.« Sein Dienstvorgesetzter, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), hätte den Antrag des Bezirksbürgermeisters auf Elternzeit ohne Probleme genehmigt, sagt Igel. »Er hat da Erfahrung. Schließlich war sogar der Chef seiner Senatskanzlei, Björn Böhning, in Elternzeit.« Aber, so fügt er an, zwölf Monate Elternzeit wären wahrscheinlich nicht gegangen.
»Guten Tag, Herr Igel«, ruft ein Kunde im Einkaufszentrum. Igel grüßt freundlich zurück, während er Felix die Mütze aus dem Gesicht streicht. Der Bürgermeister ist hier bekannt. »Dass ich vormittags den Kinderwagen schiebe, stößt natürlich nicht nur auf Verständnis bei Bürgern«, sagt Igel. Da hätten sich schon Leute gefragt, ob er nichts anderes zu tun hätte. »Es gab auch schon die Meinung, als gewählter Politiker hätte ich nicht das Recht, Elternzeit zu nehmen.«
Felix liegt wieder im Kinderwagen und hat die Augen halb geschlossen. Es ist ein heißer Tag, er ist müde geworden. Kein Wunder, denn Oliver Igel und Felix sind an diesem späten Vormittag schon lange auf den Beinen. Felix verlangt in aller Frühe sein Fläschchen. Nach dem Frühstück fuhren Vater und Sohn ins Köpenicker Rathaus. »Drei bis viermal pro Woche hole ich dort meine Post ab, die ich abends lese«, sagt er. Dann folgt der lange Spaziergang mit Einkauf, bevor der Vater den Mittagsbrei für Felix erwärmt.
Der Nachmittag gehört wieder Felix: Einmal pro Woche geht Oliver Igel mit ihm in die Krabbelgruppe seiner künftigen Kita. Einmal pro Woche geht es in die Krabbelgruppe bei der Hebamme. Einmal pro Woche bekommt Felix Ergotherapie am anderen Ende der Stadt. Dazu kommen Termine beim Kinderarzt, Spielplatz, Haushalt. »Urlaub ist etwas anderes, und seitdem ich das hier mache, ist mein Respekt vor Eltern gestiegen«, sagt der Politiker. »Ganz besonderen Respekt habe ich vor Alleinerziehenden und Zwillingseltern. Wie das mit zwei so kleinen Kindern gehen soll, kann ich mir gar nicht vorstellen und alleinerziehend bin ich im Moment auch.« Allerdings nur für eine Woche. Felix’ Mutter, die SPD-Abgeordnete Ellen Haußdörfer, sei gerade auf Ausschussreise. Und auf Hilfe von Großeltern kann das Politikerpaar nur selten zurückgreifen. »Meine Eltern arbeiten noch. Die Schwiegereltern wohnen weit weg«, sagt Igel.
Felix schläft halb, als Oliver Igel mit ihm vor dem Flüchtlingsheim im Allendeviertel vorbeiläuft. Eine rechte Bürgerinitiative macht gegen das Heim mobil, setzt Gerüchte über Überfälle und Lärmbelästigungen in die Welt. »Wenn ich hier vorbeilaufe, passiert komischerweise nie was«, sagt Igel und schaut auf die spielenden Kinder. Wenn er im August wieder im Rathaus ist, hat er neue Argumente gegen die rechte Bürgerbewegung. »Das lauteste Geräusch hier ist der vorbeifahrende Bus.« Aber auch der bringt Felix im Kinderwagen nicht aus der Ruhe. Eher schon sein Hunger.
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