Kerry auf unmöglicher Mission
In Bagdad will der US-Außenminister retten, was mit dieser Führung kaum noch zu retten ist
US-Außenminister John Kerry ist am Montag in Bagdad angekommen - überraschend, wie der staunenden Öffentlichkeit offiziell von dpa mitgeteilt wird, denn der Besuch war seit Tagen angekündigt. Aber - und das ist kennzeichnend für die militärische Situation in Irak - nicht einmal der Bagdader Luftraum ist noch so sicher, dass sich US-amerikanische Minister getrauen, ihr Eintreffen zeitlich festzulegen. Auch sonst ist Kerrys Mission einigermaßen rätselhaft. Ministerpräsident Nuri al-Maliki, Washingtons Mann in Bagdad, erhofft sich von ihm mindestens die Rettung seines Amtes.
Die Aussichten dafür stehen denkbar schlecht. Maliki scheint seine politische Zukunft hinter sich zu haben, obwohl es gerade erst Wahlen gab in Irak und der Premier diese von den verkündeten Ergebnissen her auch noch gewonnen hat. Vor allem militärisch sieht es ganz düster aus. Schien es vorige Woche noch so, als könnte der Vormarsch der sunnitischen Glaubenskrieger auf die Hauptstadt Bagdad mit Hilfe kurdischer Elitetruppen zum Stehen gebracht werden, kommen jetzt wieder Hiobsbotschaften in Bagdad an.
Die Sunniten, besser: die Kämpfer der Gruppe Islamischer Staat in Irak und Syrien (ISIS) suchen nicht die Konfrontation mit den Kurden in Nordirak, sondern gehen, von Syrien und vermutlich auch Jordanien kommend, wieder direkter auf das südlicher gelegene Bagdad vor. Zwar heißt es von dort, dass sich täglich Hunderte Schiiten als Freiwillige für die Armee melden, aber die Leute sind nicht ausgebildet.
ISIS, meldete dpa am Montag, habe am Wochenende weitere Orte im Norden und Westen Iraks eingenommen, seine Stellungen ausgebaut und steht offenbar vor einer strategisch wichtigen Eroberung: nämlich des zweiten großen Wasserkraftwerks am Tigris; die größte Anlage nahe Mossul liegt bereits im ISIS-Herrschaftsgebiet, einschließlich der Talsperre als Trinkwasser-Reservoir.
Kerry wird versuchen, Maliki zu weitgehendem Machtverzicht zu überreden und eine sehr breite Koalitionsregierung zu bilden mit allen Kräften, die dazu bereit sind, vermutlich ohne Bezug zu den inzwischen bedeutungslosen Wahlergebnissen. Aber wer will noch mit dem Schiiten Maliki in ein Boot? Die Sunniten in Irak - auch die sehr vielen »Gemäßigten«, denn die Republik war bis zu Einmarsch der Amerikaner 2003 ein relativ religionsfreizügiger Staat - hat er vollständig diskriminiert. Aber auch die Vertreter seiner eigenen Glaubensrichtung verlangen einen Neuanfang ohne ihn.
Falls Kerry vorhat, wem auch immer Ratschläge zugunsten Malikis geben zu wollen, ist seine Mission zum Scheitern verurteilt. Zumal er laut eigener Aussage nicht viel mehr als warme Worte mitgebracht hat.
US-Präsident Barack Obama will offiziell keine Bodentruppen wieder nach Irak bringen. Washington redet noch immer nur vom »möglichst kurzen Einsatz von rund 300 Soldaten, die als Militärberater nach Irak geschickt werden sollen«.
Das würde aber bedeuten, man gibt den Maliki-Klüngel auf und lässt Bagdad entweder ISIS in die Hände fallen oder - was wahrscheinlicher wäre - überlässt der (schiitischen) Islamischen Republik Iran den alleinigen Beistand für die Glaubensbrüder in Bagdad.
Derweil melden Nachrichtenagenturen, Jordanien sehe sich von ISIS bedroht und mobilisiere nach dem Vorrücken von dessen Kämpfern. Trifft dies zu, ist es der klassische Fall von »Die Geister, die ich rief ...«. Schließlich gewährte Jordaniens König Abdullah II. mindestens seit 2012 allen bewaffneten Glaubenskriegern freien Durchgang nach Syrien.
Auch die EU erklärt inzwischen ihr Unwohlsein mit dem dschihadistischen Vormarsch. Jetzt zeigt man sich bestürzt, nachdem man ihre politischen Strukturen zum Rekrutieren und Spendensammeln besonders in Frankreich, aber auch in Deutschland mindestens geduldet hatte. Zum Auftakt des Treffens in Luxemburg forderte Außenminister Frank-Walter Steinmeier besorgt über den Vormarsch der ISIS-Dschihadisten in Irak: »Worauf es jetzt ankommt, ist die Bildung einer Regierung in Irak, die alle Regionen und alle Religionen einschließt.« So könnte weitere Unterstützung der sunnitischen Bevölkerung für die ISIS-Gruppen verhindert werden. Und man setzt auf Teheran, ohne es auszusprechen. »Ich hoffe, dass die Nachbarn Iraks ihr Interesse erkennen, dass die territoriale Integrität Iraks als Staat gewährleistet bleibt«, fügte Steinmeier hinzu. Sein britischer Kollege William Hague sagte, bei dem Treffen in Brüssel werde es auch darum gehen, wie man die Nachbarstaaten Iraks unterstützen könne.
Bei einem Angriff von Bewaffneten auf einen Gefangenentransport in der Nähe der Stadt Hilla sind unterdessen laut einheimischen Medien mehr als 50 Insassen getötet worden.
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