Ich bin Pop, und das ist auch gut so

Die Popgruppe Blondie feiert ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum. Nun spielte sie zum ersten Mal seit zehn Jahren in Berlin

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Wichtigste zuerst: das Kleid. Oder sagen wir besser: das Kleidchen. Deborah Harry, die Sängerin der international bekannten New Yorker Popgruppe Blondie, war am Montag während des Konzerts ihrer Band in Berlin in ein geradezu hinreißendes possierliches Minikleid gewandet, das sie mit Stil zu tragen wusste. Auf der Vorderseite war es mit der Abbildung eines geöffneten Mundes versehen, dessen Lippen sich aus roten Pailletten zusammensetzten. An einigen Stellen des mit schwarzer, grauer und rötlicher Farbe liebevoll beschmierten Kleidungsstücks waren strategisch geschickt schwarze Fransen und kleine rote Schleifchen angebracht, auf der Rückseite war der Schriftzug »Blondie 4 ever« zu lesen. Am linken Handgelenk des mittlerweile 69-jährigen Glamour-Girls flatterte silberfarbener Plastikschmuck. Das glatte blonde Haar war zu einer Art Kleopatra-Frisur zurechtgemacht. Und an dem Mikrofonständer der Sängerin baumelte ein kleiner herzförmiger Spiegel. Das überaus gelungene Ensemble aus Minikleid, Lametta am Handgelenk und putzigem Spiegelherzchen schien zu schreien: Ich bin Pop, und das ist auch gut so.

Man war ein klein wenig erleichtert darüber, dass die Künstlerin sich nicht für den trainingsanzugähnlichen, pinkfarbenen Wams entschieden hatte, den sie gelegentlich bei Auftritten trägt, wie aktuelle Konzertmitschnitte zeigen.

Als Debbie Harry an diesem Abend gemeinsam mit den männlichen Bandmitgliedern zu den Klängen des sowjetischen Kampfliedes »Partisanen von Amur« mit energischen Schritten die Bühne des Tempodroms betritt und zu singen anhebt, ist jedoch zunächst außer einem matschigen Klangbrei nichts zu hören. Die Sängerin bewegt zwar erkennbar die Lippen, und dem erklingenden diffusen Gitarrenlärm, der sich anhört, als ertöne er aus einem verstopften Abflussrohr, ist zu entnehmen, dass es sich wohl um den alten Hit »One way or another« aus dem Jahr 1979 handelt, doch Debbie Harrys Stimme ist nicht zu vernehmen. Das Publikum im nur zu etwa 60 Prozent gefüllten Tempodrom ist ratlos, erste Buhrufe erklingen, während die Band nicht recht zu begreifen scheint, dass ein nicht geringes Soundproblem vorliegt. Auch Debbie Harry ist sichtlich irritiert, guckt zuweilen ebenso ratlos zurück in den Saal, singt aber dennoch weiter. Als ihr nach mehreren Minuten die technische Panne mitgeteilt wird, ruft sie: »Okay, we’ll do the song again.« Also noch mal von vorn, diesmal mit Stimme. Allerdings dürften Audiophile an diesem Abend keine Freude gehabt haben. Klangtechnisch liegt hier einiges im Argen, meistens hört sich die Musik an, als käme sie aus einem gigantischen, auf Maximallautstärke gestellten alten Mono-Kassettenrecorder. Aber egal. Debbie Harry sieht gut aus, lacht, guckt kokett, reckt die geballte Faust in die Höhe, macht anmutige Balzbewegungen mit ihrem Unterkörper, stemmt ihre Arme entweder in die Hüfte oder breitet sie majestätisch aus, tanzt formschön und wirkt insgesamt regelrecht aufgekratzt. »We ate like Pigs«, sagt sie lachend, als sie davon berichtet, dass die Band einen Tag zuvor beim Abendessen einen neuen Vertrag bei einem großen Konzern unterschrieben habe.

Von rosarotem Licht bestrahlt singt sich die charismatische Popsängerin routiniert durch eine Reihe alter Hits: »Hanging on the Telephone«, »Call me«, »Rapture«, »Atomic«, »Heart of Glass«, »Dreaming«. Dazwischen werden gelegentlich Songs des neuen Blondie-Albums dargeboten. 40 Jahre macht die Frau den Rockzirkus jetzt schon mit, mit kurzen Unterbrechungen. Genau wie ihre beiden aus der Blondie-Originalbesetzung verbliebenen Mitstreiter, Gitarrist Chris Stein und Schlagzeuger Clem Burke. Da sollte man doch eigentlich Technikfachleute haben, die einem den Live-Sound in die passende Form bringen. Aber egal. Immerhin sind auch Stein und Burke hübsch und dem Anlass gemäß angezogen. Burke, der mit seinem Schlagzeug hinter einer gläsernen Wand sitzt, trägt ein »CBGB’s«-T-Shirt. Stein, der komplett in Schwarz gekleidet ist, eine stoische Eleganz verströmt und vergleichsweise unbewegt bleibt, nimmt während des gesamten Konzert seine Sonnenbrille nicht ab.

Als den optischen Gesamteindruck störend machen sich lediglich die beiden auf der Bühne jeweils rechts- und linksaußen herumturnenden Bandmitglieder bemerkbar, die sich dem Anschein nach nicht nur bemühen, sich wie der Rocksänger Bryan Adams zu bewegen, sondern auch andere bedenkliche Verhaltensauffälligkeiten zeigen: Meist posieren sie breitbeinig oder sonstwie maskulinistisch, nehmen alberne Rockerposen ein und schwenken angeberisch ihre Instrumente umher. Auch ihre Garderobe wirkt im Vergleich zur Bekleidung der Gründungsmitglieder eher nachlässig, um nicht zu sagen fehl am Platz. Ausgewaschene Jeansjacken mit abgetrennten Ärmeln! Knallenge, den Geschlechtsbereich betonende Mackerhosen!

Aber egal. Als kritische Instanz, die einst einen ebenso hohlen wie prätentiösen Bombast- und Pomprock, der zumeist von langhaarigen bärtigen Männern fabriziert wurde, von der Bildfläche zu verdrängen half, hat sich die Band Blondie in den 70er und frühen 80er Jahren bleibende Verdienste erworben. Indem sie Punkrock mit Disco, Glam und Plastikpop verschmurgelte, schritt sie tapfer voran in eine neue Zeit. 2006 wurde sie dafür in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen. Heute versucht sie sich, wie viele andere Popmusiker, die ihren Zenit überschritten haben, an der Verwirklichung eines alten Traums der Menschheit: ewige Jugend, niemals alt werden, niemals sterben. Wahr werden wird er nicht. Aber egal. Es geht ja um den schönen Schein. »Have a wonderful Summer. Don’t do anything stupid«, sagt Debbie Harry zum Abschied.

Von insgesamt drei Konzerten in Deutschland findet heute das letzte statt: 25.Juni, Köln, E-Werk, 20 Uhr.

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