Historische Wendehälse

Tenor Craig Bermingham über Beethovens »Fidelio« im ehemaligen Cottbuser Zuchthaus

  • Lesedauer: 3 Min.
Früher war das Singen hier verboten. Ab 28. Juni bespielt das Staatstheater Cottbus das ehemalige Zuchthaus der Stadt, in dem zu DDR-Zeiten Tausende politische Häftlinge einsaßen. Im Innenhof erklingt nun Beethovens Freiheitsoper »Fidelio«. Mit dem US-amerikanischen Tenor Craig Bermingham, dem Darsteller des inhaftierten Florestan, sprach nd-Autorin Antje Rößler.

nd: Herr Bermingham, wie erleben Sie die Proben im einstigen Zuchthaus?
Bermingham: An einem solchen Ort zu arbeiten, ist eine emotional anstrengende Erfahrung. Ich habe mich intensiv mit der Geschichte des Gefängnisses auseinandergesetzt. Ich war in der Ausstellung des Menschenrechtszentrums und ließ mir von ehemaligen Häftlingen ihre Einzelzellen zeigen. Das hat mich tagelang beschäftigt, denn meine Rolle hat viel damit zu tun.

Wie sehen Sie den Charakter des inhaftierten Florestan?
Er ist ein Mensch von felsenfester Überzeugung und großer innerer Kraft. An einem Schwächling wäre Leonore, die aktive Heldin der Oper, wohl auch gar nicht interessiert. Florestan lebt in extremen äußeren Umständen; er ist körperlich gebrochen und vollkommen erschöpft. Trotzdem behält er seine seelische Stärke. Der Regisseur Martin Schüler schafft es brillant, diese Spannung aufzuzeigen.

Wie bezieht der Regisseur das Zuchthaus in seine Inszenierung ein?
Das kann ich noch nicht genau sagen, denn auf der Bühne kriege ich nicht viel mit. Meist muss ich mit verbundenen Augen liegen oder knien; an allen Gliedern angekettet.

Ist Florestan ein Held?
In unserer heutigen Kultur wird das Heldentum zu oberflächlich betrachtet. Die Figur des Florestan verdeutlicht, dass es nicht auf die Größe der Tat ankommt, sondern auf die Kraft der Überzeugung.

Der Zuschauer erfährt nicht, was genau Florestan »verbrochen« hat. Auch in der DDR blieb der Anlass politisch motivierter Inhaftierungen oft verborgen.

Florestan selbst und auch der Gouverneur Pizarro, der ihn einkerkern ließ, kennen den Anlass genau. Florestan hat es gewagt, die Wahrheit zu sagen. Doch der Inhalt seiner Aussagen wird verschleiert; auch dem Gefängniswärter Rocco und seinem Personal gegenüber, die sich am Ende als typische Wendehälse herausstellen. Eine solche Verschleierungstaktik, auch im eigenen Lager, ist stets Bestandteil von Herrschaft.

Haben Sie sich schon früher mit der DDR-Geschichte beschäftigt?
Mein erstes Engagement waren vier Jahre am Theater von Annaberg-Buchholz. Dort habe ich so viel Herzlichkeit erlebt wie sonst nirgendwo auf der Welt. Nebenbei erfuhr ich eine Menge über die Lebensbedingungen in der DDR. Derzeit wohne ich in Dortmund, weil ich dort ein Engagement hatte; aber ich bin oft und gern in Ostdeutschland.

Warum verließen Sie Ihre amerikanische Heimat?
Nach einem Jura-Studium war ich politisch aktiv und arbeitete für die Demokraten. Als George W. Bush 2004 erneut Präsident wurde, verloren sämtliche Kandidaten, die ich unterstützt hatte und die mich als Stadtrat aufstellen wollten. Über diese politische Situation war ich richtig sauer. Zugleich setzte die Kanzlei, in der ich damals arbeitete, mich unter Druck: Ich sollte die politische Arbeit aufgeben. Hier in Deutschland habe ich eine viel größere Freiheit gefunden, mich zu entfalten.

Hatten Sie als Anwalt auch Zeit für Musik?
Musik hat mich immer begleitet. Als Kind sang ich in einem anglikanischen Knabenchor; als Jugendlicher machte ich Rock und Jazz; mein Jura-Studium habe ich mit Kneipenauftritten finanziert. Zu jener Zeit lernte ich per Zufall einen Gesangslehrer kennen, der mich dann unterrichtete. Auch als Anwalt habe ich neben den 70 Wochenstunden in der Kanzlei viel gesungen. Am Ende war ich aber vollkommen ausgebrannt und politisch fertig mit der Welt. Da kam zum Glück das Angebot aus Annaberg-Buchholz.

Haben Sie sich dann in Deutschland ausschließlich dem Gesang gewidmet?
Nein, ich studierte auch Politik in Augsburg. Zu jener Zeit war ich bei Amnesty International aktiv. Wir betreuten politische Gefangene und führten Aktionen gegen die Todesstrafe durch. Diese Erfahrungen haben sich nun bei der Probenarbeit in Cottbus weiter vertieft.

Aufführungen vom 28.6. bis zum 12.7., www.staatstheater-cottbus.de

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