»Brrrraaaaaasiiiiiiiil!!!«
Das »Patio Brasil« ist das modernste Einkaufszentrum der Hauptstadt Brasilia – und ein unbezahlbarer Seismograph für die Stimmung im Lande. Im Innenhof ist eine riesengroße Leinwand aufgebaut, davor liegen etwa 150 kunstlederne Würfel in den Landesfarben grün und gelb. Schon morgens läuft Fußball – selbst, wenn ein 82-jähriger Journalist irgendetwas zum Belgien-Spiel am Vortag sagt, sitzen gut drei Dutzend Menschen wie gebannt davor. Bei den Spielen ist dann kein Halten mehr, die wenigen Brasilianer, die jetzt trotzdem noch einkaufen wollen, müssen sich mühsam an der Fußballcommunity vorbeidrücken.
Beim Spiel Argentinien gegen die Schweiz kam ich Mitte der zweiten Halbzeit dazu, ich hatte vorher live im Stadion nebenan zu tun gehabt. Wie die Sympathien der Leute verteilt waren, war zunächst schwer zu ergründen. Bei vergebenen Torchancen beider Mannschaften gab es ein lautes Raunen. Als Xherdan Shaqiri den Schiedsrichter anmaulte, weil der bei einem Pass im Weg gestanden hatte, lachte die halbe Mall. Doch das war`s. Lediglich die beiden Schweizer und die acht argentinischen Fans in ihren Trikots fieberten lautstark mit.
Doch dann kam die 118. Minute und Angel di Maria erzielte den Siegtreffer der Argentinier. Nun brach die Hölle los: Acht Menschen mit blau-weißen Trikots lagen sich in den Armen und 300 Brasilianer buhten so laut, dass es noch bis an den Stadtrand zu hören gewesen sein dürfte. Schrecken bei den Gauchos und Freude bei den beiden Schweizern: Die sind ja alle für uns...
Waren sie nicht. Aber sie waren gegen Argentinien. »Wenn Argentinien gegen eine Mannschaft aus der Hölle spielen würde, wären wir für die Hölle«, erklärte mir ein älterer Herr im Brasilien-Trikot. Und man wisse ja wohl, was das für so ein christliches Land wie Brasilien bedeute.
Aber ja. Warum das so ist? Nun, da wäre natürlich die fußballerische Rivalität zwischen zwei Riesen im Weltfußball, die eine (kleine) gemeinsame Grenze haben. Und da wäre die Macht der Vorurteile: Kurz gesagt haben Argentinier in Brasilien ein Image wie die Niederländer in Frankreich (kommen im Wohnwagen hierher und haben den Kofferraum voller Einkäufe aus der Heimat) UND wie die Engländer auf Mallorca (trinken noch mehr als die Deutschen und schlagen gerne zu).
Ob da etwas dran ist? Der in Rio lebende Anthropologe Martin Curi wird deutlich: »Na klar, genau wie alle Franzosen mit Baguette unterm Arm zur Arbeit gehen und Mexikaner auf dem Esel ins Stadion.«
Am Samstagabend trafen hier in Brasilia die Argentinier auf Belgien, seit Montag kamen jeden Tag ein paar hundert Argentinier mehr in die Stadt. Zu befürchten hatten sie hier nichts, aber sie mussten damit leben, dass ihnen die Leute hinterherschauen, wenn sie durch die Straßen ziehen. Mal skeptisch, mal spöttisch. Hauptverkehrsstraßen, das haben sie schnell gelernt, sind allerdings zu meiden. Zumindest wenn man ein Trikot der »Albiceleste« trägt. In jedem dritten Auto werden die Scheiben runtergekurbelt und einer brüllt heraus: »Brrrraaaaaasiiiiiiiil!!!«
Nach dem 1:0-Sieg Argentiniens gegen Belgien, war es dann merklich leiser in der Hauptstadt. Kein Wunder, es waren angeblich 100.000 argentinische Fans in der Stadt.
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