Die Aufrechten sind die Schuldigen

Dortmund versagt auf ganzer Linie bei der Abwehr von gewaltbereiten Ultrarechten

  • Marcus Meier, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Nazi-Sturm auf das Dortmunder Rathaus am Wahlabend des 25. Mai werden diejenigen, die sich den rechten Gewalttätern in den Weg stellten, immer mehr in die Täter-Rolle gedrängt.

»Schlag auf Schlag geht es weiter - DIE RECHTE mischt die Lokalpolitik auf«. Mit solchen Sprüchen treten Dortmunds Nazis in diesen Tagen im Internet auf. Und damit untertreiben sie eher noch. Die Pseudopartei »Die Rechte«, ein Auffangbecken für Kader des verbotenen »Nationalen Widerstands Dortmund«, färbt längst die nordrhein-westfälische Landespolitik. Das liegt allerdings weniger am PR-Geschick der Ein-Prozent-Partei, als an der Dumm- und Blindheit vieler politischer Akteure.

Am 25. Mai zog »Die Rechte« mit ihrer Idolfigur Siegfried »SS-Siggi« Borchardt in den Rat der Stadt Dortmund ein, versuchte am selben Abend das Rathaus zu stürmen. Dabei verletzten die Schläger zehn Menschen, die vor dem Eingang standen, mit Fäusten, Flaschen und Pfefferspray. Medien berichteten in der Tendenz einhellig darüber. Videos kursieren im Netz. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt gegen rund 40 Rathausverteidiger, aber nur gegen fünf Nazis.

Ein Bericht des Innenministeriums verschweigt Fehler der Polizei wie rechte Straftaten. Man wirft Lokalpolitikern vor, sie seien teils betrunken gewesen und hätten versucht, die Polizei zu behindern; letztlich hätten die Beamten am Wahlabend »zwei aggressive Parteien« trennen müssen. Im Innenausschuss des Landtages betont NRWs oberster Polizist Dieter Wehe: Wenn genügend Polizisten vor Ort gewesen wären, hätte die Staatsmacht den Nazis an diesem Abend den Weg ins Rathaus geebnet.

Redner von CDU, FDP und dem rechten SPD-Flügel kritisieren bei selber Gelegenheit die gewaltfreie Verhinderung des Rathaussturms. Weil eine Blockade »kein rechtsstaatliches Mittel« sei, wie sich exemplarisch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Thomas Stotko ereiferte.

Derweil kritisieren andere Teile der SPD und ihres grünen Koalitionspartners den Bericht des Innenministeriums als unverschämt, diffamierend und ungereimt. Sie müssen dabei aber vorsichtig sein, um SPD-Innenminister Ralf Jäger nicht zu sehr in die Bredouille zu bringen. Der wiederum denkt nicht daran, den Bericht nachbessern zu lassen.

Mitte letzter Woche dann ein neuer Höhepunkt für die Gewaltaffinen: Im Landtagsplenum beschäftigte sich eine Aktuelle Stunde mit dem Rathaussturm. Doch CDU und FDP sprachen kaum von Nazis, geschweige denn Nazigewalt, sondern über ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Landesregierung und Polizei.

FDP-Innenpolitiker Robert Orth brüllte gar: »Wenn Demokraten prügeln, ist das keine Zierde für die Demokratie.« Der Liberale beschimpfte insbesondere die Dortmunder Grünenabgeordnete Daniela Schneckenburger, weil sie am Wahlabend »mit Fäusten herumspielte«. Fakt ist: Schneckenburger war von den Nazis zusammengeschlagen worden.

»Die Rechte« war begeistert, lobte »die mutigen Worte des Herrn Orth« via Facebook. Besser könnte es für »SS-Siggi« und Co. kaum laufen: Unter Rechtfertigungszwang stehen längst die Opfer des Rathaussturms. Einen Tag nach der Landtagsdebatte verteilten ihre Kader Pfefferspray in der Dortmunder Innenstadt an »junge Frauen«. Wegen der vielen ausländischen Gewalttäter.

»SS-Siggi« wurde zwischenzeitlich im Rat ersetzt durch den eigentlichen Anführer der Pseudopartei, Dennis Giemsch. Der bildet nun mit einem Ratsherren der eigentlich angefeindeten NPD eine Ratsgruppe. Die so geeinte Rechte kassiert 42 000 Euro pro Jahr an staatlichen Zuwendungen. Es geht alles den gewohnten Gang in Dortmund, der Nazi-Hochburg Westdeutschlands, wo seit der Jahrtausendwende fünf Menschen von Nazis erschossen oder erstochen wurden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.