Erbil könnte das neue Bagdad werden

Die Halsstarrigkeit von Iraks Premier Maliki arbeitet einer Abspaltung Kurdistans in die Hände

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Beharren des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki auf einer dritten Amtszeit könnte einmal von Historikern als der Sargnagel eines Staates mit dem Namen Irak gesehen werden.

Maliki ist bei sunnitischen Arabern und Kurden in Irak verhasst. Hinter ihm steht der iranische religiöse Führer Ayatollah Ali Khamenei, der die Forderung verschiedener USA-Politiker nach einer Regierung ohne Maliki als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Iraks anprangert. Die iranische Sicht ist überhaupt sehr einfach. Demnach haben die USA die Gruppe Islamischer Staat in Irak und Syrien (ISIS) gegründet.

Doch mit einigen bejahrten Kampfflugzeugen aus Russland und Iran, von denen sehr wahrscheinlich ein Teil von iranischen Piloten gesteuert wird, lässt sich ISIS nicht besiegen. Warum sollen Soldaten der irakischen Armee bei der versuchten Rückeroberung Tikrits ihr Leben riskieren, wenn selbst ihr Oberbefehlshaber sagt, dass eine Dreiteilung Iraks die bessere Lösung wäre?

Eigentlich hat ISIS derzeit genug Probleme im eigenen Lager. Die Freude über die Bedrängnis von Maliki und seiner sektiererischen Regierung ist bei vielen Sunniten einer Katerstimmung gewichen. Die Vereinigung der muslimischen Gelehrten in Irak hat die Ausrufung des Kalifats durch den ISIS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi heftig kritisiert. Die »Söhne Iraks und ihre Führer« seien nicht konsultiert worden, hieß es, der Schritt werde nur zur Spaltung des Landes führen.

Doch der neue Kalif lässt keine Opposition zu. Andere sunnitische Widerstandsgruppen, Stammeskrieger und Anhänger von Saddam Huseins Baath-Partei, sollen die Waffen abgeben und dem Kalifen die Treue schwören. Indessen füllt ISIS die eigenen Reihen auch mit jungen Söldnern auf. Durch die Plünderung von Banken, Raub, Erpressung etc. schwimmt die Gruppe im Geld.

Indessen ist die Abspaltung von Bagdad ökonomisch nicht im Interesse der Sunniten, denn dies trennt sie von den irakischen Ölquellen. Diese Probleme könnte eine gemischte Regierung in Bagdad durchaus ausnutzen, um ISIS zurückzudrängen. Eine Regierung Maliki, von der die Sunniten nichts zu erwarten haben, kann es nicht.

Doch es gibt noch einen dritten wichtigen Mitspieler: die Kurden. Die Vorstellung, die Kurden würden nun ISIS in die Flanke fallen und sie zusammen mit der irakischen Armee wieder vertreiben, ist politisches Wunschdenken. Es gibt derzeit keinen Krieg zwischen Kurden und ISIS. Die bewaffneten Zusammenstöße zwischen kurdischen Peschmergas und den Islamisten rühren vor allem daher, dass es keine abgesprochene Demarkationslinie gibt. Doch keine Seite setzt zur Eroberung größerer Gebiete an und schon gar nicht wollen die Kurden Maliki helfen. Seit sieben Jahren verzögert Maliki ein den Kurden in der Verfassung zugesagtes Referendum über die Rückgabe von Gebieten, die von Saddam arabisiert wurden. Dazu gehört das Erdölzentrum Kirkuk. Außerdem hat Maliki sechs Monate lang den kurdischen Beamten kein Gehalt gezahlt. Andererseits hat es Maliki erbittert, dass die kurdische Regionalregierung sich das Recht herausnimmt, Konzessionen zur Erdölförderung an türkische Firmen in eigener Regie zu vergeben.

Der Vormarsch der ISIS wurde von den Kurden genutzt, um ein Kurdistan etwa in den von ihnen beanspruchten Grenzen zu besetzen, nicht gerade zur Freude anderer Minderheiten. Die Kurden träumen nun von der völligen Unabhängigkeit. Tatsächlich könnte der Sitz der kurdischen Regionalregierung in Erbil, kurdisch Hewler, für viele Staaten zum neuen Angelpunkt ihrer Irakpolitik werden. »Erbil ist das neue Bagdad«, sagt etwa der kurdische Journalist Dennis Dargul. Er verweist auf den regen Verkehr westlicher Diplomaten in Erbil. Zuletzt waren der US-Außenminister und Minister der britischen Regierung da. Auch ökonomisch läuft seit Langem vieles über das relativ sichere Erbil. Israel hat sich bereits offen für die Unabhängigkeit der Kurden ausgesprochen.

Von den alten Gegnern der kurdischen Souveränität sind Bagdad und Damaskus auf absehbare Zeit gebunden. Das Parlament in Teheran hat sich entschieden gegen eine kurdische Unabhängigkeit ausgesprochen. Iran hat schließlich sein eigenes Kurdenproblem.

Durchwachsen ist die Lage in Ankara. Einer der drei Präsidentschaftskandidaten ist der Kurde Selahattin Demirtas. Er kann die Wahl unmöglich gewinnen, doch wenn Recep Tayyip Erdogan im ersten Wahlgang am 10. August nicht die absolute Mehrheit erreicht, wird er den Kurden Konzessionen machen müssen. Das Gleiche gilt für den Gegenkandidaten Ekmeleddin Ihsanoglu. Diese Konstellation fördert derzeit eine prokurdische Politik in Ankara. Die Türkei profitiert aber auch ökonomisch von einem unabhängigen Kurdistan in Irak, auf dessen Ölfeldern türkische Firmen Konzessionen bekommen und dessen Markt weitgehend von türkischen Firmen beherrscht wird.

Andererseits ist die Abhängigkeit in umgekehrter Richtung viel größer. Selbst wenn die sunnitischen Araber und die Schiiten in Irak die kurdische Unabhängigkeit im Prinzip akzeptieren sollten, wird es noch immer den Streit um das Erdölzentrum Kirkuk geben. Iran nimmt ohnehin eine feindliche Haltung ein. Damit droht Irakisch-Kurdistan die Einschließung, falls sich das Verhältnis zur Türkei wieder zuspitzt. Doch es mag gerade die Gewissheit sein, die Kurden notfalls in der Hand zu haben, die es Ankara leichter macht, die Unabhängigkeit irakischer Kurden zuzulassen. Wenn Maliki sich bei der Regierungsbildung in Bagdad durchsetzt, bleibt Irak vorerst geteilt, wird Bagdad zum Ansprechpartner für Teheran und Erbil/Hewler zum Ansprechpartner für den Westen.

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