Deutschland liefert Wasserwerfer zur britischen Aufstandsbekämpfung
Briten empört über den Kauf deutscher Wasserwerfer / Deutschland setzt auf noch mehr Wasserdruck
Die Angst vor möglichen Aufständen sitzt in England tief. Das Trauma vom August 2011 wirkt noch nach, als es vom Londoner Stadtteil Tottenham aus mehrere Tage hinweg zu schweren Krawallen in britischen Städten kam. Wie sonst ließe sich erklären, dass Großbritannien gerade drei ausgemusterte Wasserwerfer aus deutschen Polizeibeständen gekauft hat. Für England ist das ein Novum. Bisher gibt es nicht einmal eine rechtliche Grundlage, um Wasserwerfer außerhalb von Nordirland einzusetzen. Entsprechend muss noch die Innenministerin Theresa May dem Einsatz von Wasserwerfern zustimmen. Vorreiter der neuen polizeilichen Wehrhaftigkeit ist der Londoner Bürgermeister Boris Johnson, der als Hardliner gilt und die Wasserwerfer aus dem Gebrauchtwarenladen bundesdeutscher Polizeibehörden bestellt hat.
Dabei ist für die Briten, in deren Land der Bobby klassischerweise ohne Schusswaffe Streife geht, die Vorstellung einer martialisch hochgerüsteten Polizei, die mit gepanzertem Gerät Aufstände niederschlägt, sehr gewöhnungsbedürftig. 98 Prozent der Londoner sind gegen den Ankauf, hält Jenny Jones von den Grünen Bürgermeister Johnson entgegen. Der will sich jetzt sogar testweise von einem Wasserwerfer beschießen lassen, um zu demonstrieren, dass der Einsatz des »Wawe 9000« völlig ungefährlich ist. Die drei gebrauchten Wasserwerfer verkauft das deutsche Innenministerium der Londoner Kommune für gut 100.000 Euro, ein regelrechtes Schnäppchen, würde doch ein fabrikneuer Wasserwerfer laut Londoner Rathaus mehr als eine Million Euro kosten. Da musste man einfach zuschlagen. Wobei die britische Polizei noch 150.000 Euro in die Umrüstung investieren will.
Während der Einsatz von Wasserwerfern hierzulande als selbstverständlich hingenommen wird, regt sich in Großbritannien Widerstand. Viele Bürger beschweren sich in Petitionen und per E-Mail bei verantwortlichen Politikern. »Es ist unser Recht, in einer friedlichen Demonstration auf die Straße zu gehen, um unserer Frustration oder unserer Unzufriedenheit über politische Ereignisse Ausdruck zu verleihen, ohne Angst haben zu müssen, dass man uns etwas antut«, schrieb Joanna Darrant, die eine mittlerweile von mehr als 46.000 Personen unterzeichnete Petition an die Innenministerin richtete. Auch ein schon viele tausend Male angeklicktes Internetvideo macht derzeit in England die Runde. Es zeigt die Wucht eines Wasserwerferstrahls, der Menschen mehrere Meter über die Straße schießen und ihnen schwere Verletzungen zufügen kann. Entsprechend wird in dem Video auch auf den Fall des deutschen Rentners Dietrich Wagner verwiesen, der bei den Protesten gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 durch einen Wasserwerferstrahl sein Augenlicht verlor. Wagner war auch in London bei einer Veranstaltung zu Gast und warnte eindringlich vor den Gefahren dieser Waffe.
Aktuell wird in Stuttgart im sogenannten Wasserwerfer-Prozess verhandelt. Am Mittwoch sagte eine Pfarrerin aus, die ihren Sohn am »Schwarzen Donnerstag« im Stuttgarter Schlossgarten suchte und nach eigenen Angaben »Todesangst« hatte, als sie mehrere Wasserstöße gegen den Kopf bekam. Die Bundesregierung hat mit Wasserwerfern und deren Wirkung dagegen keine Probleme. Sie hält die fast autobusgroßen gepanzerten Fahrzeuge für ein »mildes und verhältnismäßiges Mittel« und wiederholt diese Antwort stereotyp auch auf Kritik von Menschen wie Dietrich Wagner. Aus der kleinen Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (LINKE) ergab sich zudem, dass der Verkauf weiterer noch auszumusternder Wasserwerfer nicht ausgeschlossen ist. Frankreich habe bereits Interesse signalisiert. Bis 2019 sollen in Deutschland alle »WaWe9000« von Bund- und Länderpolizeien durch die rund 900.000 Euro teuren »WaWe10000« ersetzt werden. Dieses Modell arbeitet mit noch mehr Wasserdruck.
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