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Merkel bleibt »Obamas Pudel«
Sahra Wagenknecht über die neueste Entwicklung in der Spionageaffäre und die Logik der Geheimdienste
Eigentlich ging die Woche für Angela Merkel gut los. Erst fädelte sie in China ein paar profitable Geschäfte für die DAX-Konzerne ein, damit Deutschland Exportweltmeister bleibt, dann durfte sie den Rekordsieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Brasilien im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft in gewohnt emotionaler Manier abfeiern (O-Ton Merkel: »Ich glaube, dass es schon fast den Namen ›historisch‹ verdient.«) und dann hätte die Woche in Ruhe mit der Vorfreude auf das Finale ausklingen können. Sicher, in der Vorwoche war ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) als US-Spitzel aufgeflogen. Das war nach den ganzen Snowden-Enthüllungen und dem abgehörten Kanzler-Handy durchaus unschön, aber das würde - so hoffte man im Kanzleramt - wie gewohnt mit etwas Betroffenheitsrhetorik ausgesessen werden können.
Doch als Beamte des Bundeskriminalamts und der Bundesstaatsanwaltschaft sich letzten Mittwoch mit einem Durchsuchungsbefehl Zutritt zu den Räumen eines Mitarbeiters im Bundesverteidigungsministerium verschafften, der ebenfalls im Verdacht steht, für die US-Geheimdienste spioniert zu haben, wurde es ungemütlich. Und die öffentlichen Statements der Regierung machten alles noch schlimmer. Finanzminister Wolfgang Schäuble versuchte, die Angelegenheit dadurch herunterzuspielen, dass er den US-Amerikanern vorhielt, »so was von blöd« zu sein, weil sie nur »drittklassige Leute« im deutschen Regierungsapparat anwerben würden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sekundierte beleidigt: Das »gehört sich nicht nur nicht, es ist auch völlig überflüssig«. Und außerdem noch dumm, meinte Bundeskanzlerin Merkel neunmalschlau, weil »das Ausspähen von Freunden und Verbündeten ein Vergeuden von Kraft« sei.
Diese Naivitäts- und Betroffenheitsnummer der Regierung ging der Öffentlichkeit, die sich in WM-Euphorie befand, gehörig auf die Nerven. Mittwochnachmittag bezeichnete Jakob Augstein Deutschland als gedemütigten »Dackel« des »Herrchens aus Amerika«. Das saß. Irgendwie musste die Regierung sich aus dem kommunikativen Super-GAU retten. Und so griff Merkel am nächsten Tag mit der Bitte, dass der CIA-Vertreter doch so nett sein möge, die Bundesrepublik zu verlassen, ungewöhnlich tief in die Kiste der diplomatischen Symbolpolitik.
Das war nicht ungeschickt. Zum einen kam die Bundesregierung so, ohne echte Konsequenzen zu ziehen, wieder in die Offensive, wodurch der »FAZ«-Kommentator am Freitag zu der Feststellung hingerissen wurde: »Merkel ist nicht Obamas Pudel.« Zum anderen wurde damit die sogenannte Spionageaffäre weiter befeuert, die aus Sicht der Regierung perfekt dazu geeignet ist, die deutschen Geheimdienste aus der Schusslinie zu nehmen und vom eigentlichen Skandal abzulenken. Der besteht darin, dass die Bundesregierung tatenlos zusieht, wie die NSA massenhaft die Menschen in Deutschland ausspioniert und deren persönliche Daten speichert. Dass der US-Geheimdienst dabei von den deutschen Geheimdiensten unterstützt wird, dafür sprechen nicht zuletzt die vom »Spiegel« veröffentlichten Dokumente von Edward Snowden. Trotzdem oder gerade deswegen ist die Bundesregierung zu feige oder unwillig, Snowden in Deutschland zu befragen. Und der Generalbundesanwalt, der unter der Aufsicht des SPD-Justizministers Heiko Maas steht, ermittelt nur wegen des Abhörens von Merkels Handy und nicht wegen der Ausspähung von Millionen deutscher Bürger. Daraus kann nur ein Schluss gezogen werden: Die historisch gewachsene Symbiose von US-amerikanischen und deutschen Geheimdiensten, von der die deutschen Geheimdienste ebenso profitieren, ist der Bundesregierung wichtiger als der Schutz der Bürgerrechte der Bevölkerung, die sie vertritt.
Das dürfen wir nicht zulassen. Es geht um nicht weniger als unsere Freiheit. Deshalb brauchen wir eine konsequente Änderung der Politik: Die Machenschaften der Geheimdienste in Deutschland müssen mit der Unterstützung von Edward Snowden umfassend aufgeklärt werden. Dazu muss Snowden nach Deutschland kommen können und es muss ihm politisches Asyl angeboten werden. Nach meiner Überzeugung führt kein Weg daran vorbei, dass wir im Interesse von Demokratie und Bürgerrechten mit der Logik der Geheimdienste brechen müssen. Geheimdienste sind aufgrund ihres Wesens demokratisch nicht kontrollierbar und müssen deshalb aufgelöst werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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