Courage und Geschick
REZENSION
Eine junge Frau, studierte Sozialwissenschaftlerin, geht Mitte der 60er Jahre nach Genf, zur Weltgesundheitsorganisation (WHO), aus der Provinz in die heikle Welt der Diplomatie. Ingar Brueggemann sieht das damals als eine Station - sie ahnt nicht, dass es ihr Leben wird.
Sie kommt in einem Moment zur WHO, in dem sich die Welt in einem Umbruch befindet. Ost und West stehen sich im Kalten Krieg gegenüber; das Kolonialsystem löst sich auf, immer mehr Länder des Südens erkämpfen ihre Unabhängigkeit. Jetzt muss sich zeigen, was den reichen Ländern rund um den Erdball die Maxime der 1946 gegründeten Weltgesundheitsorganisation wirklich wert ist: dass Gesundheit ein Grundrecht aller Menschen ist, egal wo und wie sie leben.
Dafür entsteht in der WHO das Konzept der Primary Health Care - einer gesundheitlichen Basisversorgung überall und mit Rücksicht auf die Verhältnisse vor Ort, ohne anderen Kontinenten das System der Industriestaaten aufzudrängen. Das mag aus heutiger Sicht banal klingen; damals war es eine revolutionäre Idee. Zu denen, die sich dafür einsetzten, gehörte Ingar Brueggemann, die im Laufe der Jahrzehnte in die Führung der Weltorganisation aufstieg - ein Arbeitsleben voller Verhandlungsgeschick und Fingerspitzengefühl, sanftem Nachdruck und Kompromisssuche.
»An der Sonne geradeaus« erzählt die Geschichte einer bemerkenswerten Karriere, verbunden mit vielen persönlichen Erinnerungen, und es erzählt zugleich ein Stück Weltpolitik. Es erzählt vom wachsenden und doch so schwer durchzusetzenden Bewusstsein der Tatsache, dass es trotz aller Unterschiede, Gegensätze, Feindschaften letztlich nur diese eine Welt für die Menschheit gibt. Und dass globale Probleme gemeinsam gelöst werden müssen. Es erzählt von der beharrlichen und erfolgreichen Arbeit einer couragierten Frau auf männerdominiertem Terrain, vom mühsamen Kampf gegen Malaria, für Impfprogramme, gegen Kindersterblichkeit und seit den 80er Jahren gegen HIV.
Anfang der 90er, wieder in Zeiten eines weltpolitischen Umbruchs, verlässt Brueggemann die WHO und widmet sich der Entwicklungsarbeit, wird wenig später Generalsekretärin einer internationalen Organisation für Familienplanung. Auch hier wieder das Thema HIV - ein Lebensthema für Ingar Brueggemann.
Ihr aufwendig gestaltetes Buch aus der auf Lebenserinnerungen und Firmengeschichten spezialisierten Berliner Firma Rohnstock Biografien sollte die Weltgesundheitsorganisation ihren Mitarbeitern als Pflichtlektüre nahelegen. Denn es beschreibt eine lange Etappe des schwierigen, gegen politische Egoismen und überkommene Traditionen geführten Kampfes für ein eigentlich ganz einfaches, humanistisches Ziel: Gesundheit für alle.
Ingar Brueggemann: An der Sonne geradeaus. Rohnstock Biografien. 419 S., 39,90 €. Bestellung: (030) 40504330 oder info@rohnstock-biografien.de.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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