Arbeit und Kapitalismus aus anarchistischer Perspektive
Ein neu auf deutsch erschienenes Buch zeigt Strategien gegen Ausbeutung in der Arbeitswelt
Ein vom vielen Lesen zerfleddertes Exemplar von »Work« lag bei Occupy-Wall-Street im Zuccotti-Park in Manhattan herum, erzählte eine der deutschen Übersetzerinnen bei der Buchpräsentation in Berlin. An zahlreichen Orten in den USA gab es bereits Veranstaltungen zur Arbeitsweltanalyse »Work«, die sich als explizit anarchistisch und nicht marxistisch versteht. Wer hinter dem Kollektiv »Crimethinc« steckt, dessen Name sich von Orwells »Gedankenverbrechen« ableitet, weiß niemand. Waren die ersten Texte von »Crimethinc« kurz nach den legendären Ausschreitungen von Globalisierungskritikern 1999 in Seattle noch von einem subkulturellen Aussteigeranarchismus geprägt, bietet »Work« eine Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus und der neoliberalen Arbeitswelt. Es geht nicht um blindes »Dagegen-Sein«, sondern darum, Strategien gegen Ausbeutung zu entwickeln. »Kündige nicht deinen Job - warte bis dein Boss am angreifbarsten ist und gehe dann in den Streik und lade alle ein mitzumachen. [...] Wir gewinnen nichts, wenn wir immer versuchen, moralisch besser als die anderen zu sein; der Punkt ist nicht, Recht zu haben, sondern gefährlich zu sein.«
Das gut 300 Seiten dicke, reich bebilderte Buch hat seinen Ausgangspunkt im überarbeiteten Plakat einer Kampagne der US-Gewerkschaft IWW (auch genannt Wobblies) von 1911. Die »Pyramide des kapitalistischen Systems« zeigt, wie unten die Arbeiter schuften, in der Mitte das Bürgertum feiert und oben - geschützt von Polizei und Armee - Fabrikbesitzer und Adel regieren. Die Pyramide von »Crimethinc« im Stil eines Hauses ist moderner, detaillierter und bietet gleich mehrere Dutzend »gesellschaftliche Räume«. Ganz oben winkt ein Obama neben reichen Magnaten beim Essen, über Chefs und Politiker geht es nach unten vorbei am akademischen Mittelstand, dem Dienstleistungsbereich zur Hausarbeit und schließlich in die Sweat-Shops, zu Masttierhaltungen und in Gefängnisse. Dabei betonen die Autoren, dass dieses System keineswegs statisch ist.
Wenn auch zwischen Kapitalisten, Ausgebeuteten und Ausgeschlossenen unterschieden wird, ist klar, dass im Kapitalismus Positionen auch gewechselt werden. Deshalb hat das »Crimethinc«-Pyramidenhaus eine Treppe, auf der joggende Akademiker auf dem Weg nach oben sind. Neben den analytischen Texten, die Selbstständigkeit, Dienstleistungssektor, migrantische Arbeit, Bildung, mittleres Management und andere Aspekte moderner Arbeitsteilung thematisieren, finden sich auch persönliche Erfahrungsberichte: etwa die Erzählung eines Mannes, der sich keinen Studienkredit leisten konnte und bei seinem Job in einem Baumarkt so viel Geld veruntreute, dass er sich damit Studium und Doktortitel finanzierte.
Am Ende bietet »Work« einen Ausblick auf den »kommenden Aufstand«, was sicher für viele US-Leser den Reiz ausmachte. Schließlich erschien es kurz vor Beginn der Protestbewegungen in der arabischen Welt, Europa und den USA und hatte so fast prophetischen Charakter. Wenn »Work« auch vor allem US-Gegebenheiten beschreibt, ist es nach Meinung der Verfasser »besonders relevant im heutigen Deutschland«, in dem es noch keine Krise gebe. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe heißt es: »Die alten Übereinkommen zwischen Staat und Subjekt, Arbeitgeber_in und Angestellten bröckeln langsam. Wo wir heute sind, werdet ihr bald sein. Seid bereit.«
Crimethinc: »Work«, Unrast-Verlag, Münster, 360 Seiten, 19,80 Euro Das Poster der Crimethinc-Kapitalismuspyramide kann für 1 Euro bestellt werden unter: www.black-mosquito.org/index.php/work-pyramide-crimethinc-plakat.html
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