Morgens sind einige Rekruten bereits grün

Ab Freitag im Gebäudefoyer Franz-Mehring-Platz 1, Berlin: Gemälde von Ralf Scherfose zum Ersten Weltkrieg

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 7 Min.

Der Erste Weltkrieg 1914-1918 ist das Thema eines Bilderzyklus von Ralf Scherfose. Gemälde über den ersten industriell geführten Krieg, in dem teils bis dahin unbekannte Kampfmittel wie Maschinengewehre, Flammenwerfer, Panzer und Giftgas eingesetzt wurden, der Krieg, der schließlich mehr als drei Viertel der Weltbevölkerung in Mitleidenschaft zog, der nie dagewesene Gewalt und Grauen mit sich brachte.

Von den Kämpfen überlieferte Fotografien zeigen »erschütternde Kriegsszenen«. Zwei Worte als ein Begriff, die heute, 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in vielen Veröffentlichungen zu hören und zu lesen sind. Was sagt er aus? Sagt er aus, was gemeint ist? Allein dem Klang des Fügungsbestandteils »Szenen« nachsinnend, bemerkt man, wie viel Distanz hierin liegt, und wie wenig Erschütterung. Nichts erschüttert, wenn man ehrlich ist. Geschichte ist Geschichte ist eben vorbei. Was bringt nun einen Gegenwartskünstler dazu (ein Jahr lang währende Arbeit in diesem Fall), eine »Ikonografie des gemalten Krieges« zu entfalten (Harald Kimpel, Katalogvorwort)?

Das ist die eine, erste, Frage. Eine die Person des Künstlers betreffende. In dem Erstaunen hat auch das Wissen seinen Platz, dass es bleibende, in die Kunstgeschichte eingegangene Zeugnisse bildkünstlerischer Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg gibt, und zwar von hoher künstlerischer Qualität, man denke an Otto Dix, Max Pechstein, Erich Heckel, Ernst-Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Beckmann und andere. Also von Zeitzeugen, Kriegsteilnehmern.

Eine weitere Frage, eine zunächst scheinbar nur Formales betreffende: Warum verwendet dieser Gegenwartskünstler Vorlagen, nämlich Fotografien, d.h. Dokumente des Geschehens auf den Kriegsschlachtfeldern? Und, drittens, eine inhaltliche Frage: Was ist authentischer im Sinne der dem realen Geschehen innewohnenden Wahrheit, was ihr näher: die Dokumentaraufnahmen oder die gemalte Darstellung?

Sowie eine vierte Frage, auf die später einzugehen sein wird, und die individuelles Anliegen (siehe Frage eins) und gesellschaftliche Verallgemeinerung meint: Kann man Nicht-Selbsterlebtes erinnern (insbesondere im Zusammenhang mit den Verbrechen der Deutschen an den Juden Europas während der Nazizeit wird ja von Erinnerungsarbeit bzw. -kultur gesprochen)?

Ralf Scherfose, 1962 in Boffzen (Niedersachsen) geboren, studierte von 1984 bis 1989 Freie Malerei an der Hochschule für bildende Künste Kassel, bei Manfred Bluth, der in der Tradition eines Max Liebermann oder Eduard Gaertner malte, und Kurt Haug - dessen fotografischer (Hyper-)Realismus mit seiner Lichtstichigkeit an Edward Hopper erinnert.

Solche Lehrer prägen. Aber Scherfoses Œuvre ist, zwar den Anregungen folgend, von eigener Handschrift. Die auch die Gemälde in der aktuellen Ausstellung aufweisen. Genauigkeit, ohne Pedanterie oder zusätzliche, in artifizieller Absicht eingesetzte Tiefenschärfe, ästhetische Komposition, ohne dem Inhaltlichen dadurch die Aussage zu nehmen: Dem Grausamen, der Gewalt, dem Schrecken, dem Ekel, dem Entsetzen, das in den Bildern zum Ausdruck kommt, wird keine Schönheit im Sinne Ernst Jüngers abgewonnen. Im Gegensatz dazu die Sujets in Scherfoses Malerei bislang: Er malte Menschen, schöne Porträts schöner Menschen, schöne Akte von Modellen, deren Körper die Hungerdiätmaße schön ignorieren, er malte Landschaften, die in der Realität jeden Ökobauern und Naturschützer erfreuen könnten, er malte Stillleben, das alte Genre, dessen ästhetische und philosophische Relevanz in oder von der zeitgenössischen Kunst selten noch aufgerufen wird - zu unrecht und symptomatisch.

Schaut man sich Scherfoses Bilder vom Krieg an, fallen einem Friedrich Dürrenmatts Sätze zur Kunst des Beobachtens ein, des Beobachtens als eines »elementar dichterischen Vorgangs«. Aus ihm erst, diesem Verdichten, entstehen die Formen, die das Wesentliche zum Sprechen bringen. Beispielsweise, und zufällig herausgegriffen, das zweiteilige Gemälde »Der Große Krieg XIV«: Ein Soldat im Schützengraben, die Handgranate zum Werfen präparierend und mit Gasmaske unterm Helm, die seltsamerweise den Eindruck vermittelt, als blicke der Mensch, der der Mann vor seiner Uniformierung war, mit Angst in die Richtung des zu treffenden Zieles. Eine Gasmaske, dieses Monstrum mit seinem Blechrüssel und mit schrecklich großen Sichtscheiben, schaut - nicht ein Individuum ist es, das mit seinen Augen, den Fenstern zur Seele, im Gesicht die Weite in den Blick nimmt. Die Vernichtung des Individuellen, das Funktionieren der Mordmaschine, zu der der Mensch, zum Soldaten werdend, abgerichtet wurde - hier wird es augenfällig.

Wie diese Abrichtung vor sich ging, was sie aus jungen Männern gemacht hat, wurde besonders eindringlich von Erich Maria Remarque in »Im Westen nichts Neues« beschrieben. Zitate aus dem Roman hat Scherfose im Katalog zu dieser Ausstellung den Abbildungen der Gemälde gegenübergestellt. Dadurch, nebenbei bemerkt, verstärkt sich der Eindruck, die emotionale Beteiligung des Betrachters, da ja Gemäldereproduktionen im noch so qualitätvollen Ausstellungskatalog die vorm Original sich einstellende nicht erreichen (können). Die Zitate sind so ausgewählt, dass sie zum inhaltlichen Geschehen auf den Bilden meist das verbale Äquivalent bilden. Eine Dualität entsteht, die große innere Anteilnahme beim Betrachter erzeugt. Diesem Diptychon ist das Zitat beigestellt: »... Jeder fühlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrüstung wegreißen, wie sie die Böschung durchwühlen ... Morgens sind einige Rekruten bereits grün und kotzen ...«

Der Soldat mit der Gasmaske steht im Graben, brusthoch ist dieser nur und bietet keinen Schutz. Fast frontal ist der Körper des Soldaten dem Betrachter zugewandt. Die Knöpfe auf der Uniform leuchten - wie lange noch? Die Fantasie gaukelt Bilder vor: von zerfetzter Jacke, von aufgerissener Brust, von blutig baumelndem Arm. Noch steht der Soldat, neben ihm (auf dem zweiten Gemälde) ein anderer, schussbereit am Maschinengewehr. Dieses: neueste technische Entwicklung. Von dem Ziel, das die Handgranate treffen soll und das auch von dem MG 08/15 in die Schusslinie genommen wird, ist nichts zu sehen. Nur der Horizont ist schon ein zerrissenes Band aus fahlem, bedrohlichen Rötlich-Grau des Himmels, in den sich vereinzelt stehende, grau-schwarz-violette, spitzzersplitterte Baumreste spießen.

Nach fotografischen Vorlagen zu malen, ist per se nichts Besonderes. Die Gemälde Scherfoses sind keine exakte Spiegelung der Fotografie, des historischen Dokuments, so genau auch zunächst die Wiedergabe erscheint. In der eigenständigen Setzung von Farbe, Einzelheiten, der Betonung von Details, ihrer Ergänzung ist der künstlerische Weg gefunden, nicht lediglich Bilder von Bildern zu liefern, sondern eine eigene Realität zu schaffen, nämlich diejenige, die das Wesen des nunmehr Dargestellten vermittelt.

Die Farbpalette weist vor allem Erdfarben auf, Landschaft - wenn man denn sie noch so benennen will - Braun, Schwarz, Allerweltsgrün. Verdrecktes, giftig stechendes Weiß setzt Kontraste, schafft Räumlichkeit, definiert Strukturen. Bläulich oder grünlich, mit scharfer weißer Höhung von Stofffalten, die Uniformen. Gleichmacherisch die Farben - wie der Krieg. Und wo Wasser sonst heile Natur versprach, sind hier, in grellblitzender violett-weißer Farbigkeit, die in lehmigen Furchen der von Fahrzeugen durchwühlten Wege gestauten Rinnsale - Synonyme für Wegelosigkeit - und die Spiegel der Sumpflachen zu Unkenntlichkeiten ehemals gesunder Vorgänge geworden. Ein appellierendes Kolorit.

Die Frage eins, warum man sich als Vertreter einer späteren Generation, als jemand, der vom Ersten Weltkrieg nur Faktenwissen haben kann, sich diesem Thema widmet, diese persönliche Frage hat mit Verantwortungsbewusstsein zu tun, mit dem Reagieren auf Alarmsignale in einer Zeit, in der unentwegt überall auf dem Erdball und unter unseren Augen Kriege geführt werden.

Über die Verwendung von fotografischen Vorlagen wurde bereits festgestellt, dass dies ein die Möglichkeit eröffnendes Verfahren ist, Emotionen zu verstärken und etwas auszusagen, das über das Faktische hinausgeht, etwas, das wesentlich und verallgemeinerungsfähig ist. Und somit der Authentizität - dritte Frage - erst seine Funktion, nämlich den Vergleich zum Heute, zuweist. So wird, um zur vierten der rhetorischen Fragen zu kommen, man zwar nicht erinnern im Sinne eines aus dem Gedächtnis Wiederholens von Selbsterlebtem, doch im Sinne eines Gedenkens.

Der Erste Weltkrieg 1914-1918. Der Große Krieg - The Great War - La Grande Guerre. Bilderzyklus von Ralf Scherfose. Foyer des Gebäudes Franz-Mehring-Platz 1., 10243 Berlin. Eröffnung: 8. August, 18.30 Uhr. Bis 21. September, tägl. 9-21 Uhr. Die Ausstellung ist eine Kooperation von FMP1, Münzenberg Forum, Kultur- und Nachbarschaftszentrum RuDi und Künstlersonderbund.

Ausstellung im Kultur- und Nachbarschaftszentrum RuDi, Berlin-Friedrichshain: Ein Krieg - »ganz aus Versehen?«, bis 27.8.

Ausstellung des Künstlersonderbundes in den Uferhallen in Berlin-Wedding: Krieg und Frieden, bis 27.8.

Terminhinweis: Der Große Krieg – The Great War – La Grande Guerre

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