Schließung auf Raten

Lena Tietgen über die Perspektiven für die Odenwaldschule nach den Missbrauchsskandalen.

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Vier Jahre ist es her, dass die aufgedeckte sexuelle Gewalt an der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim die Öffentlichkeit erschütterte. Dieses bis dato als Vorzeigeinternat des linksliberalen Bürgertums gehandelte Institution, die eine ganze Reihe prominenter Schulabsolventen hervorbrachte, entpuppte sich als eine bis auf die Knochen gewissenlose Gemeinschaft.

Dass die Taten des langjährigen Schulleiters Gerold Becker von seinem Lebensgefährten Hartmut von Hentig, dem Doyen der reformpädagogischen Bewegung, zunächst auch noch abgestritten wurden, traf ins Mark der reformpädagogischen Gemeinde. Von diesem Schock erholte sich die Odenwaldschule nicht mehr und steht heute vor einem beinahe finanziellen und personellen Ruin, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen. Nachdem es im Frühjahr erneut zu Ermittlungen gegen einen Lehrer wegen des Verdachts auf Besitz kinderpornografischen Materials kam, diese Information aber von der Schule verspätet an die Schulbehörden weitergegeben wurde, bot der Schulleiter im Juni seinen Rücktritt an. Der Trägerverein entließ daraufhin vor wenigen Wochen die komplette Schulleitung.

Das ist eine Schließung auf Raten; früher oder später hätte die Schule eh ausgedient. Ihr Stammklientel des aufgeklärten Großbürgers hat sich überlebt. Mittlerweile gibt es neben Privatschulen viele Elterninitiativen und Kleinstschulen, die verschiedene reformpädagogische Ansätze kombinieren und so die Ideen, die ursprünglich auch die der Odenwaldschule waren, als diese vor mehr als 100 Jahren gegründet wurde, am Laufen halten. Auch die staatlichen Schulen schicken sich an, das Erbe der Reformpädagogik anzutreten. So gibt es beispielsweise kaum noch eine Schule, die nicht auf eine Willkommenskultur setzt und ihren Schülern eine Atmosphäre bietet, in der Lernen mit positiven Gefühlen verbunden ist.

Selbst wenn sich die Odenwaldschule je wieder erholen sollte, wird sie eine unter vielen sein. Der Neoliberalismus hat eben auch egalisiert.

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