Geschichte mit eigenen Augen sehen

Filmemacher Rick Minnich grub 1994 das Lenin-Denkmal im Köpenicker Forst aus. Er glaubt, er würde es wiederfinden

  • Lesedauer: 8 Min.

nd: Das Berliner Landesdenkmalamt lehnt die Bergung der Lenin-Statue unter anderem mit der Begründung ab, die genaue Lage des Kopfes sei nicht mehr zu bestimmen. Sie aber haben diesen Kopf schon einmal ausgebuddelt. Wann war das und wie kam es dazu?

Rick Minnich: Ich hatte 1993 angefangen, einen Film mit dem Titel »The Book of Lenins« zu machen, »Das Buch der Lenins«. Es ging mir um die Lenin-Denkmäler in der Sowjetunion, in Osteuropa, und um das, was aus diesen Denkmälern geworden ist nach dem Mauerfall. Ich hatte diese Geschichte vom Berliner Lenin-Denkmal mit großem Interesse verfolgt, weil ich hier in Berlin lebte. Ein Kollege von mir, der Fotograf Andreas Kämper, hatte die Teile der Statue fotografiert, als Lenin abmontiert und in den Wald gestellt wurde. Einige Monate später erst wurde das Areal zugeschüttet, angeblich aus Sicherheitsgründen, weil manche Leute hingefallen sein sollen oder irgendwelche Stücke von dem Denkmal abgemacht haben.

Heißt das, dass die Teile des Denkmals bis dahin offenlagen, dass man Lenin also noch sehen konnte?

Ja, es lag offen. Andreas Kämper hat diese Fotos gemacht, als die Teile noch freilagen. Und anhand dieser Fotos haben wir abgeschätzt, wo wir graben sollten.

Haben Sie schnell gefunden, wonach Sie suchten?

Relativ schnell. Es war ein sehr heißer Sommer 1994, und wir haben immer so am frühen Nachmittag angefangen. Am Ende des zweiten Tages haben wir den Kopf gefunden, aber es war zu dunkel, um alles zu sehen. Deshalb mussten wir ein drittes Mal hinfahren.

Aber dann hatten Sie den Kopf freigelegt, und Sie wissen auch heute noch ungefähr, wo das war?

Ja, ich denke, wir könnten das mit etwas Mühe wiederfinden. Die Ausrede des Senats, dass man das nicht finden könne, halte ich für total unsinnig. Alles wird ja genau dokumentiert in Deutschland, da werden sicherlich irgendwelche Unterlagen vorhanden sein. Frau Theissen vom Kunstamt in Spandau sagt ja auch, dass sie genaue Unterlagen dazu hat.

Es gibt inzwischen auch Wortmeldungen aus dem Wissenschaftlichen Beirat, der diese Ausstellung betreut. Alexander Koch, der Präsident des Deutschen Historischen Museums, und Andreas Nachama, der Direktor der Topographie des Terrors, haben inzwischen ihr Unverständnis über die Haltung des Senats geäußert. Auch die Finanzierung der Bergung sei durch das Budget der Ausstellung, das sich aus EU-Mitteln, Lottogeldern und Mitteln des Landes Berlin zusammensetzt, abgedeckt. Haben Sie eine Vermutung, warum der Senat sich trotzdem dagegen sträubt, Lenin auszugraben?

Ich denke, es gibt Menschen hier in Berlin und Deutschland, denen ist diese DDR-Vergangenheit noch zu nahe. In vielen Köpfen wird dieser Abschnitt der deutschen Geschichte gleich als Diktatur in die Reihe von Hitler und Stalin gestellt. Es ist von vielen Menschen politisch nicht gewollt, sich mit der Figur Lenin politisch auseinanderzusetzen.

Aber genau das soll doch das Thema der geplanten Ausstellung sein. Wenn ich es richtig verstehe, werden da ja auch Denkmale aus der Nazizeit und aus dem Kaiserreich ausgestellt, die müssten ja zumindest auf ähnliche Vorbehalte treffen.

So sehe ich das auch. Lenin gehört natürlich dazu. Das Denkmal war 19 Meter hoch, ein Riesending. Gut, man könnte argumentieren, dass man den Kopf nicht alleine zeigen sollte, wie es Landeskonservator Jörg Haspel ja auch tut. Das wäre vielleicht ein Argument, dass sie nicht den Platz haben, diese ganzen 19 Meter aufzubauen. Aber ich glaube, darum geht es nicht.

Was war Ihr persönliches Interesse, als Sie Anfang der 90er Jahre Ihren Film »The Book of Lenins« gemacht haben?

Ich bin im Sommer 1990 kurz vor der deutschen Vereinigung aus den USA nach Berlin gezogen. Ich bin Jahrgang 1968 und habe in der Reagan-Ära die High School besucht, also am Ende des Kalten Krieges. Wir hatten eine Menge antisowjetischer Propaganda in der Schule serviert bekommen, und ich war einfach persönlich neugierig, wie das wirklich war hinter dem Eisernen Vorhang. Ich wollte das mit eigenen Augen sehen. Ich hatte 1989 die Gelegenheit, in die Sowjetunion zu reisen, und war auch noch vor der Wende in Ostberlin für einen Tag. Auch in den anderen osteuropäischen Ländern bin ich ein bisschen herumgereist und habe mir so ein Bild davon gemacht. Ich fand es einfach merkwürdig, dass diese Lenin-Denkmäler überhaupt zu sehen waren. Etwas Vergleichbares gibt es nicht in den USA. Die amerikanische Fahne ist überall sehr präsent, manchmal sieht man auch ein Denkmal von großen Präsidenten, aber es gibt keine einzelne Person, die überall aufgestellt wird in den USA.

Fanden Sie es richtig, dass viele dieser Denkmäler nach der politischen Wende im Osten abgerissen wurden?

Das ging ziemlich rasch. Ich denke, es wäre besser gewesen, sie eine Weile stehenzulassen. Andererseits kann ich nachvollziehen, dass die Leute die Nase voll hatten und Veränderungen wollten. Alles, was irgendwie mit der Vergangenheit zu tun hatte, das wollten sie nicht mehr sehen.

Sie fänden es aber richtig, wenn jetzt, nach 25 Jahren, durch so eine Ausstellung dieser Aspekt der Vergangenheit noch einmal vor Augen gerufen würde?

Auf jeden Fall. Ich bin absolut dafür, dass der Lenin-Kopf wieder aufgestellt wird in dieser Ausstellung. Ich würde aber nicht sagen, dass das Denkmal wieder auf seinen alten Platz kommen soll. Interessant finde ich übrigens, dass das Thälmann-Denkmal immer noch im Thälmann-Park in Prenzlauer Berg steht. Ich weiß, es wurde mehrmals diskutiert, ob es abgerissen wird. Vielleicht war Thälmann als Person aber nicht so kontrovers wie Lenin. Also wurde es stehengelassen.

Sie leben selbst in Prenzlauer Berg. Wenn Sie am Thälmann-Denkmal vorbeifahren, was für Gedanken haben Sie da? Finden Sie es gut, dass Thälmann an die alte Zeit gemahnt, oder finden Sie es eher verstörend?

Verstörend nicht. Ich habe keine großen Gefühle dabei. Die Biografie von Ernst Thälmann kenne ich auch nur in ein paar Eckpunkten. Bei meinen Recherchen war er eine Randfigur. Thälmann stand eben nicht überall, das war der Lenin, der überall stand, und deswegen habe ich den Schwerpunkt auf diese Lenin-Denkmäler gesetzt für diesen Film. Ich bin neulich mit dem Fahrrad am Thälmann-Denkmal vorbeigefahren und habe es mir ein bisschen länger angeschaut. Ich weiß nicht: Irgendwie passt dieser Thälmann da nicht hin, aber irgendwie passt er doch hin. Jedenfalls finde ich, er hat genauso ein Recht, da zu stehen, wie dieser preußische General am Großen Stern.

Offenbar hält man in Berlin gewisse Abschnitte der Geschichte für repräsentabel, andere nicht.

Der Wiederaufbau des Stadtschlosses, das war auch eine Geschichte, die mich beschäftigt hat. Sie spielt eine Rolle in einem anderen Kurzfilm von mir: »Beim nächsten Mal wird alles besser«. Diesen Film habe ich noch vor dem Film über die Lenin-Denkmäler gemacht. Damals, 1993, war diese Schlossattrappe am Palast der Republik aufgestellt. Sie sollte darstellen, wie dieses wieder aufgebaute Schloss aussehen sollte. Ich fand das total abartig, dass so viel Geld in so eine Vergangenheit gesteckt wird, die ja auch nicht total friedlich war. Ich hatte das Gefühl, da wird nach dem Ende der DDR ein Deutschland gesucht, das von der Nazizeit und von der DDR-Zeit unbelastet war, eine vermeintlich heile Welt. Obwohl das so überhaupt nicht der Fall ist. Mir kam das wie eine Nostalgie für irgendwas vor, das so weit zurücklag, dass es schon nicht mehr fassbar war. Jetzt wird dieses Schloss mit unheimlich viel Geld aufgebaut, aber als Kompromisslösung. Ich finde, man hätte dort etwas anderes machen können.

Einen Neubau, etwas Modernes?

Ja. Ich habe die alten Fotos gesehen von dem Schloss. Ich denke, es gibt schönere Schlösser auf der Welt. Wenn es ein ganz besonderes Bauwerk gewesen wäre, dann hätte ich vielleicht ein bisschen mehr Verständnis dafür, aber ich finde es nicht so schön.

Um noch einmal auf den Lenin-Kopf zurückzukommen: Sie haben uns geschrieben, Sie würden sich zur Verfügung stellen, bei der Ortung der Statur behilflich zu sein, weil Sie sie ja schon einmal ausgegraben haben. Würden Sie dieses Angebot auch an den Berliner Senat so richten?

Als Mitbürger hätte ich vielleicht sogar die Pflicht, das zu machen. Deshalb: Ich würde erst einmal ja sagen. Ich denke allerdings, meine Dienste werden gar nicht gebraucht. Es gibt mit Sicherheit Leute, die ganz genau wissen, wo Lenin vergraben ist. Dass man ihn nicht finden könne, ist auf jeden Fall eine Ausrede. Meine Erfahrungen seit 24 Jahren in Deutschland besagen jedenfalls, dass fast jeder Schritt, den man macht, dokumentiert wird. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das damals nicht dokumentiert wurde, als die Teile dort hingebracht worden sind.

Noch einmal: Sie können sich noch an die Stelle erinnern, an der Sie damals gegraben und gefilmt haben?

Ja, das könnte man schon finden. Ich habe sicherlich ein paar Notizen gemacht mit meinen Kollegen. Wir waren zu fünft da, und wir haben es mit einfachen Schaufeln geschafft, Lenin freizulegen. Ich denke, wenn man mit einem Bagger hinfährt, dann würde das wesentlich schneller gehen.

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