Kein Weg ist zu weit
LINKE-Chef Rico Gebhardt wirbt vehement für Rot-Rot-Grün in Sachsen - und reiste dafür sogar an die Ostsee
Für einen Moment haben die drei Musiker von »Jackbeat« daneben gegriffen. Zwar wippen die Zuhörer der Band, die den Platz vor der Zinnowitzer Strandmuschel mit Hits der 60er Jahre rockt, so beschwingt mit, wie das bei 76 Prozent Luftfeuchtigkeit und gleißender Sonne möglich ist. Doch als kurz vor zwölf zwei Autos mit Dresdner Kennzeichen auf die Strandpromenade rollen, spielt die Band ausgerechnet »Paint it black«. Für den Auftritt von Rico Gebhardt ist der einstige Nummer-1-Hit der Rolling Stones leider ganz und gar nicht die passende Nummer.
Der treibende Rhythmus dürfte den Spitzenkandidat der sächsischen LINKEN, der drei Jahre älter ist als der 1966 geschriebene Song, durchaus noch mitreißen. Als Politiker ist Gebhardt aber auch am Inhalt interessiert, und da passt die Botschaft von Mick Jagger und Keith Richards ganz und gar nicht zu seiner. »Keine Farben mehr: Ich will, dass alles schwarz wird«, röhrt der Sänger auf Englisch ins Mikro. Für politisch vorbelastete Interpreten klingt das wie eine Umschreibung der sächsischen CDU-Dominanz. Und was soll Gebhardt mit einer Zeile wie dieser anfangen: »Ich sehe eine rote Tür, aber ich will sie schwarz gestrichen haben«? Wäre das die Stimmungslage, er hätte sich die fünf Stunden Autofahrt von Dresden nach Usedom schenken können!
Nein, Gebhardt ist an diesem Tag an die Ostsee gekommen, um rote Türen in Sachsen zu öffnen, genauer: rot-rot-grüne. Der Sachse betreibt Wahlkampf - 440 Kilometer von der Heimat entfernt. Vordergründig ist das dem Umstand geschuldet, dass die schwarz-gelbe Mehrheit in Dresden die Wahl ausgerechnet auf den letzten Feriensonntag gelegt hat und die Parteien um Wähler werben müssen, während diese im Urlaub sind. Also fahren die Genossen an die Ostsee und hoffen, im heißen Sand einige an Politik interessierte Sachsen zu treffen. Daneben wollen sie auch ein paar politische Botschaften transportieren. Im Fall Gebhardts könnte sie lauten: Wenn es um den Wechsel geht, ist uns kein Weg zu weit.
Die Botschaft wird den Urlaubern auf unterschiedliche Weise nahe gebracht - zum Beispiel mit »Körpermöbeln«. So heißen im Jargon von Gebhardts jungen Wahlkampfhelfern die T-Shirts, die mit dem Wahlkampfslogan bedruckt sind. Der ist griffig, wenn auch arithmetisch nicht ganz korrekt: »25 Jahre CDU«, ist unter einer stilisierten Krone zu lesen, »sind genug.« So lange haben Sachsens Konservative die Ministerien besetzt und sich in Verbänden und Behörden breit gemacht; nun, sagt Gebhardt, seien ihnen die Ideen ausgegangen, weshalb sie Land und Politik aus einer anderen Perspektive kennen lernen sollen: jener der Opposition. Weil sich aber die Chance dazu nicht exakt 25 Jahre nach der Landtagswahl vom Oktober 1990 bietet, bei der Sachsens CDU dank Kurt Biedenkopf erstmals die absolute Mehrheit errang, soll schon nach knapp 24 Jahren Schluss sein mit der Farbe Schwarz - und statt dessen ein für Sachsen neues politisches Farbenspiel beginnen. Wäre Gebhardt ein Rockstar in der Tradition Mick Jaggers, würde er vielleicht dessen Songtext abwandeln und singen: »I see a black door, and I want it painted red, red, green« - eben Rot-Rot-Grün.
Allerdings ist Gebhardt kein Rockstar. Genau genommen ist er auch kein Politstar. Kein Mann wie Gregor Gysi, der auf der Strandpromenade nur das Sakko ablegen muss, und schon füllen sich die zuvor verwaisten Bankreihen. Kein Mann wie sein Erfurter Genosse Bodo Ramelow, der an diesem Tag ebenfalls an die Ostsee gekommen ist und auf eine knappe Frage hin routiniert eine komplette Regierungserklärung abspult. Gebhardt stapft eher zögerlich durch den Sand, um im Auftrag eines Boulevardfotografen kleine Wasserbälle mit dem Spruch »Zur Sonne, zur Freiheit« an die Urlauber zu verteilen. Es fehlt an der glatten Routine, mit der auch sein CDU-Gegenspieler Stanislaw Tillich derzeit Staatsbesuche in der sächsischen Provinz abhält und sie als Wahlkampf verkauft: winken, lächeln, unverbindliche Worte sprechen. Eine Regionalzeitung führte Gebhardt diese Woche in den Charts der beliebtesten Spitzenkandidaten in Sachsen auf Rang drei und in einem Atemzug mit dem Chef der Freien Wähler. Für eitle Naturen wäre das ein herber Schlag. Der Erzgebirgler Gebhardt aber ist nicht eitel und hat auch keine Starallüren. Für das politische Projekt, das er verfolgt, sind das die allerbesten Voraussetzungen.
Gebhardt will, damit die Türen in Sachsen nicht länger schwarz bleiben, ein Bündnis mit der SPD sowie den Grünen schmieden - und auch dafür nimmt er weite und teilweise ungewöhnliche Wege in Kauf. Im August 2013 beispielsweise sorgte seine Idee für Schlagzeilen, in Sachsens Staatskanzlei könnte im Fall einer rechnerischen Mehrheit für Rot-Rot-Grün nicht er selbst als Ministerpräsident einziehen, sondern »eine neutrale Person, am besten eine Frau«. Politische Beobachter hielten die Idee für putzig und fragen, ob es ihm an Machthunger fehle. Gebhardt indes begründete den Umweg zur Macht mit der Abneigung bei SPD und Grünen gegen einen Regierungschef mit LINKE-Parteibuch. Wenn man dennoch den Wechsel wolle, sagte er, müsse man »alle Punkte abräumen, die Rot-Grün jenseits der politischen Inhalte ins Feld führen könnte«. Bei der Politik, betont er, sei man sich ja ohnehin nahe: Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung bezifferte kürzlich die Übereinstimmungen in den Wahlprogrammen auf 80 Prozent; die restlichen 20 Prozent Differenz »kann man abräumen, wenn man es denn will«, sagt Gebhardt.
Der Spitzenmann der LINKEN hat viel getan, damit die potenziellen Partner wollen. Er hat sie umworben und ihnen immer wieder versichert, dass man »auf Augenhöhe« miteinander reden würde. Dahinter steht die Einsicht, dass es sich bei Rot-Rot-Grün um eine politische Allianz mit zwei Parteien handelte, die, gemessen an ihren Wahlergebnissen 2009 in Sachsen, zwar nur die Hälfte beziehungsweise gut ein Viertel des Gewichts der LINKEN in die Waagschale zu werfen haben, die aber stolz und auf Eigenständigkeit bedacht sind. Es sind Parteien, die es übel nehmen, wenn, wie früher geschehen, vom Stärksten im Dreierbund schon Rechenspiele angestellt und die zur Mehrheit nötigen Mandate gezählt, aber keine politischen Projekte geschmiedet und kein Draht zwischen maßgeblichen Politikern gepflegt wird. Als Gebhardt im Juli 2012 an die Spitze der Fraktion rückte, schrieb er seinen Genossen daher einen Kernsatz ins Stammbuch: Als LINKE in Sachsen, sagte er, dürfe man »nicht immer unsere Stärke vor uns her tragen«.
Es ist ein Kurs, den Gebhardt seit knapp zwei Jahren propagiert - und vermutlich gern schon eher vorangetrieben hätte: nach der Wahl 2009. Sie endete für die LINKE in Sachsen mit einem nicht eben berauschenden Ergebnis von 20,6 Prozent. Vom Wechsel war der Freistaat weiter entfernt denn je. LINKE, SPD und Grüne brachten es zusammen auf gut ein Drittel der Wählerstimmen - wie bei vielen Wahlen zuvor, bei denen sich lediglich die Gewichte innerhalb des »Lagers« verschoben hatten.
Die CDU und ihr neuer Koalitionspartner FDP dagegen formten 2009 eine satte schwarz-gelbe Mehrheit. Die LINKE, sagte Gebhardt, brauche »klarere Botschaften und mehr Witz«. Er selbst holte sich zunächst aber eine blutige Nase: Sein Versuch, den damaligen Spitzenmann André Hahn nach der Wahl per Kampfkandidatur als Fraktionschef abzulösen, scheiterte klar.
Gebhardt verschwand freilich nicht von der Bildfläche. Statt dessen wurde er wenig später an die Spitze der Landespartei gewählt. Der langjährige Geschäftsführer und Wahlkampfchef übernahm damit einen Job, um den ihn wenige beneideten: Der Landesverband galt als zerstritten; die Vertreter unterschiedlicher Generationen und verschiedener politischer Ansätze belauerten einander argwöhnisch. Er schaffte es, Kontrahenten in der Arbeit an gemeinsamen Projekten zu vereinen und die Partei zu befrieden - was auch die Fraktion registrierte. Drei Jahre nach dem gescheiterten ersten Anlauf wurde er im Sommer 2012 doch noch deren Chef.
Seither sind von ihm Sätze zu hören, die manche Genossen schlucken ließen. Vorbei sei die Zeit der »ermüdenden Frontalangriffe auf die vermeintliche Festung CDU«, war zu hören; propagiert wurde vielmehr eine Politik gewitzter Nadelstiche. Den Wählern, sagte Gebhardt, solle man nicht »ins Ohr brüllen«, sondern ihnen zuhören. Statt die Zustände im Land nur zu kritisieren und die stolzen Sachsen so zu verprellen, werbe man lieber für Alternativen. Im Bemühen, die Seriosität der sächsischen LINKEN unter Beweis zu stellen, führte Gebhardt seine Fraktion sogar in Verhandlungen über eine Schuldenbremse in der Landesverfassung. Das sorgt für Widerstand in der Bundespartei und in den eigenen Reihen, wo ihm Kritiker auch vorwerfen, das Protestpotenzial der Partei zu verspielen. Sowohl bei der Wiederwahl zum Landeschef 2013 als auch bei der Kür als Spitzenkandidat verweigerte ihm ein Drittel der Genossen die Stimme.
Gebhardt trägt das mit Fassung: 70 Prozent seien »mit dem, was ich mache, einverstanden«, sagt er. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Anteil nach dem Wahlkampf höher liegt: Die Kampagne hat nicht nur klare Botschaften, sondern auch Witz - der Spot im Stile eines Westerns belegt das ebenso wie T-Shirts, die ironisch auf die regional gefärbte Aussprache des Kandidaten anspielen: »Saggsnä«, ist zu lesen. Zudem offenbarte Gebhardt im einzigen Duell mit CDU-Kontrahent Tillich unerwarteten Biss; Journalisten sahen danach ein »Duell ohne klaren Sieger«.
Am Wahlabend freilich wird wohl der amtierende Ministerpräsident als Sieger vom Platz gehen; darauf deuten derzeit alle Umfragen hin. Rechnerisch reicht es wohl wieder nicht für Rot-Rot-Grün: Die drei Parteien liegen bei unter 40 Prozent, die CDU allein bei 42. Wenn Gebhardt in der Zinnowitzer Strandmuschel erklärt, man werde »die Regierung noch dieses Jahr bilden«, wirkt das - anders als bei seinen Kollegen aus Thüringen und Brandenburg - deshalb wie ein etwas übertriebener Optimismus. Eher sieht es so aus, als müssten die Genossen wieder die Oppositionsbank drücken.
»Das können wir«, sagt Gebhardt, »und wir werden noch besser sein.« Vielleicht auch stärker: Dass SPD und Grüne ein Bekenntnis zum Dreierbündnis verweigern und sich eine Koalition mit der CDU offen halten, spielt der LINKEN, so ihre Hoffnung, in die Hand. »Wer uns wählt, weiß, dass er nicht CDU bekommt«, sagt Gebhardt, »das unterscheidet uns von allen anderen.« Ein Viertel der Abgeordneten, gibt er auf Usedom als Ziel aus, will man künftig stellen.
Und was das Regieren anbelangt, muss man eben weiter lange Wege gehen. Im Dresdner Stadtrat hat sich gerade ein rot-rot-grünes Bündnis gebildet; hält es fünf Jahre, kommen vielleicht auch die Landespolitiker der beiden anderen Parteien auf den Geschmack. Und wer weiß: Womöglich reicht es am 31. August ja doch. Als Soundtrack zur Feier böte sich dann statt »Paint it black« ein neueres Album der Rolling Stones an. Der Titel: »A bigger Bang«. Denn Rot-Rot-Grün in Sachsen - das wäre wahrhaft größer als der Big Bang, der Urknall.
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