Fragwürdige Folklore
Alexander Ludewig über territoriale Diskriminierung in Fußballstadien
Vor einer Woche ist Carlo Tavecchio zum neuen Präsidenten des italienischen Fußballverbandes FIGC gewählt worden. Eine seiner ersten Amtshandlungen war nun die Abschaffung der Strafen für territoriale Diskriminierung. Wenn jetzt gegnerische Fans mit »Napoli Cholera« dem SSC Neapel und der süditalienischen Stadt eine Epidemie der Infektionskrankheit wie in den 70ern wünschen oder den Ausbruch des Vesuvs herbeisingen, werden sie und ihr Verein dafür nicht mehr belangt.
Was nach einem Skandal klingt, ist keiner. Die FIGC hat ja nicht plötzlich Verständnis für die Ultras und ihre schon jahrzehntealten Schmähgesänge. Natürlich bleibt »Napoli Cholera« eine sehr fragwürdige Folklore. Ebenso wie beispielsweise der Cottbuser Wunsch nach einer neuen Elbe-Flut: »Es kommt die Zeit, in der das Wasser wieder steigt.« Und die Dresdner Antwort: »Ihr seid die Hauptstadt von Polen.« Aber der Fußball hat hierzulande - und vor allem in Italien - bedrohlichere Probleme zu lösen, als jeden nicht ganz so politisch korrekten Fangesang zu geißeln.
Gewalt und Rassismus: Ciro Esposito ist vor zwei Monaten gestorben - nach Schüssen am Rande des italienischen Pokalfinals. Der Tod des 27-jährigen Neapel-Fans ist kein Einzelfall. Die Macht einiger Fangruppen, nicht selten gestützt durch Kontakte zur Mafia, bestimmt das Klubleben mit. Affenlaute und andere rassistische Beschimpfungen sowie das offene Präsentieren faschistischer Symbole gehören ebenfalls zum Alltag in italienischen Stadien.
Statt die Fanarbeit zu intensivieren, antwortet die FIGC stets mit immer härteren Sanktionen, deren abschreckende Wirkung sich jedoch nicht erwiesen hat. Wie die Strafen gegen territoriale Diskriminierung, deren Abschaffung kein Skandal ist. Einen weiteren hätte Carlo Tavecchio auch nicht gebrauchen können. Gegen ihn ermittelt die UEFA - wegen rassistischer Äußerungen vor seiner Wahl zum FIGC-Präsidenten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.