Thüringer Parlament ist mit sich zufrieden

Sondersitzung des Erfurter Landtages zum Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) muss weitergehen. Darüber bestand bei der Sondersitzung am Freitag im Erfurter Landtag Einigkeit.

Die letzte Plenarsitzung des Thüringer Landtages vor dessen Neuwahl am 14. September fand ein starkes Interesse. Familienangehörige der zehn NSU-Mordopfer, Betroffene der Kölner Sprengstoffanschläge 2001 und 2004, türkische und griechische Diplomaten und antifaschistische Akteure sowie Abgeordnete aus anderen Parlamenten verfolgten die Aussprache.

Die Redner sprachen den Opferangehörigen ihr Mitgefühl und Beileid aus. Sie baten um Verzeihung für jahrelange Verdächtigungen von Ermittlungsbehörden, die die Mörder im Opferumfeld und nicht in der Neonazi-Szene vermutet hatten.

»Die NSU-Verbrechen hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft die zweifelsfrei vorhandenen Hinweise und Spuren aufgegriffen und die drei NSU-Aktivisten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe rechtzeitig gefasst hätten«, gab die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) zu bedenken. Stattdessen hätten sie aus Rücksichtnahme auf das Landesamt für Verfassungsschutz und dessen bezahlte V-Leute eine »freiwillige Erkenntnisisolation« und »Fahndungsbremse« vorgezogen. Immerhin habe ein Staatsanwalt im Ausschuss als Lehre aus dem Verfahren gefordert, »dass die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft nicht vor der Tür des Verfassungsschutzes enden« dürfe.

»Wir hätten uns aber mehr Zeugen gewünscht, die behördliche Fehler eingestehen«, so Marx. »Halbherziges Vorgehen« und »falscher Korpsgeist« hätten den Rechtsstaat unterminiert. Geboten sei nun »ein verschärftes Rechtsbewusstsein, das im demokratischen Rechtsstaat keine kontrollfreien Räume staatlichen Handelns duldet«. Der Schutz von Informationsquellen dürfe nicht Vorrang vor dem Schutz menschlichen Lebens haben. »Wir werden uns von den Aktenvernichtern, Spurenvernichtern und Zeugen mit unerklärlichem Gedächtnisverlust nicht davon abhalten lassen, alles lückenlos aufzuklären«, kündigte Marx an.

»Staat und Behörden haben versagt«, gab sich auch Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht selbstkritisch. Sie räumte »handwerkliche und strukturelle Defizite« und eine »mittelbare Unterstützung und Begünstigung derartiger Strukturen durch den Verfassungsschutz« ein und begrüßte das geplante NPD-Verbotsverfahren, zumal diese Partei die freiheitliche Grundordnung »hinreichend bekämpft« habe.

»Vor 20 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass brauner Terror mordend und brandschatzend durch das Land zieht und die Behörden den Familien hinterher die Verantwortung zuweisen«, erklärte Linksfraktionschef Bodo Ramelow, der den von allen Fraktionen getragenen Ausschussbericht würdigte: »Dieses Dokument ist einmalig in Deutschland. Ein Parlament übernimmt Verantwortung.«

Demgegenüber hätten es sich andere, ebenfalls vom NSU-Terror betroffene Bundesländer wie Baden-Württemberg »sehr einfach gemacht und sich nicht einmal ansatzweise der Verpflichtung unterzogen«. Da zum NSU mit Sicherheit mehr Personen gehörten als das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sei es ihm unbegreiflich, »warum nicht das gesamte NSU-Netzwerk als terroristische Organisation behandelt und verurteilt wird«.

»Der Rassismus ist tief in der Alltagsgesellschaft verankert«, erklärte Katharina König, Obfrau der Linksfraktion im NSU-Ausschuss. Als Konsequenz aus den NSU-Verbrechen und der Rolle der Behörden verlangte sie eine Beendigung des V-Leute-Systems und Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutzes.

So weit wollten Redner anderer Fraktionen nicht gehen. Unumstritten sind jedoch die detaillierten Forderungen des Untersuchungsausschusses nach Maßnahmen zur Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements, zu mehr Prävention gegen Rechtsextremismus, besserer Kontrolle und Umgestaltung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz sowie für besseren Schutz von Opferzeugen.

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