Das Rezept heißt Abrüstung

IPPNW-Expertin Xanthe Hall über den 21. Weltkongress der Ärzte gegen Atomkrieg

  • Lesedauer: 4 Min.
In der kasachischen Hauptstadt Astana beginnt am Mittwoch der 21. IPPNW-Weltkongress, der sich u.a. mit den humanitären Folgen von Kernwaffen und dem politischen Prozess ihrer Ächtung beschäftigt. Zu den Teilnehmern gehört auch Xanthe Hall. Mit der Abrüstungsexpertin der deutschen Sektion der Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges sprach für »nd« Olaf Standke.

nd: Welche Themen werden im Mittelpunkt des 21. IPPNW-Weltkongresses in Kasachstan stehen?
Xanthe Hall: Traditionell engagiert sich IPPNW für das große Ziel, die Atomwaffen weltweit abzuschaffen, und das wird auch den Kongress in Astana prägen. Wir wollen dabei über alle Teile der sogenannten nuklearen Kette sprechen, etwa über den Uranabbau, der in Kasachstan in großem Stil betrieben wird. Mit 38 Prozent ist man der mit Abstand wichtigste Produzent der Welt, auch dank deutschen Geldes.

Es beginnt mit dem Abbau, und geht über die Urananreicherung in zwei Richtungen - die Energieproduktion in Atomkraftwerken und der Bau von Atombomben. Am Ende dann bleibt uns immer Atommüll. Und all diese Elemente der Kette verursachen gefährliche Strahlung. So werden wir auch in einer Ausstellung jene Orte auf der Welt zeigen, an denen Menschen und Natur durch diese nukleare Kette Schaden nehmen.

Kasachstan ist ja auf vielfältige Weise in die Geschichte der Atomwaffen involviert, auch als Ort verheerender Atomtests.
Deshalb wollen wir uns aus erster Hand über die humanitären Folgen von Atomwaffen informieren. Kasachische Ärzte werden über die wichtigsten Ergebnisse aus 50 Jahren Forschung zu den gesundheitlichen Folgen der sowjetischen Atomtests in Semipalatinsk berichten. Wir werden gemeinsam überlegen, wie wir diese mahnenden Erkenntnisse am besten an die Öffentlichkeit bringen.

Der Stand der atomaren Abrüstung, da sind sich die Experten einig, ist sehr unbefriedigend. Selbst der zwischen den USA und Russland vereinbarte Abbau der Arsenale verläuft inzwischen viel langsamer als noch vor zehn, zwölf Jahren. Woran liegt das?
Es gibt da meiner Meinung nach zwei Ebenen, eine politische und eine psychische. Der politische Stillstand in der Abrüstung hat damit zu tun, dass die Kernwaffenstaaten ihre Bestände inzwischen so weit reduziert haben, wie es ihrem Sicherheitsverständnis entspricht. Sie wollen gar nicht vollständig abbauen. Sie wollen Atomwaffen beibehalten. Das sieht man an der teuren Modernisierung der Arsenale. Und dann ist da der Punkt, dass weltweit die existenziellen Gefahren durch die Existenz von Atomwaffen verdrängt werden. Viele Menschen machen sich inzwischen mehr Sorgen über den Klimawandel und andere Probleme und sehen die andauernde atomare Bedrohung gar nicht mehr.

Welche Aufgaben leiten sich daraus für Ihre Organisation und die Friedensbewegung insgesamt ab?
Wir engagieren uns sehr stark in der International Campaign for the Abolition of Nuclear Weapons. Mit dieser globalen Kampagne für die Abschaffung aller Atomwaffen durch einen bindenden internationalen Vertrag versuchen wir jetzt auch, die nächste Generation stärker in die Verantwortung zu holen. Junge Menschen sehen natürlich manches anders und auch pragmatischer als wir, die wir den Kalten Krieg und die ganz unmittelbare Angst vor einem Atomkrieg erlebt haben. Um so erfreulicher, dass so viele bereit sind, sich als Partner der Kampagne zu engagieren.

Für die globale Ächtung der Atomwaffen braucht es letztlich aber politische Entscheidungen. Im nächsten Jahr findet eine große UN-Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag statt. Er verpflichtet die Kernwaffenstaaten zur atomaren Abrüstung. Inzwischen gibt es eine Klage der Marshallinseln, weil sie dieser Verpflichtung nicht nachgekommen seien. Hat sie überhaupt eine Chance vor dem Internationalen Gerichtshof?
Möglicherweise sieht sich der Gerichtshof in Den Haag nicht in der Lage, für die Marshallinseln zu votieren. Aber allein dieser Prozess ist wichtig für den Druck, den man aufbauen muss auf die Konferenz im Mai nächsten Jahres. Die Atomwaffenstaaten dürfen nicht mehr mit ihren Lippenbekenntnissen zu Artikel 6 des Vertrages durchkommen. So wie die Verpflichtung, Atomwaffen nicht weiterzugeben oder zu bauen, ist ja auch ihr Abbau völkerrechtlich bindend. In diesem Zusammenhang hat auch die neue Initiative für Staatenkonferenzen zu den humanitären Folgen der Atomwaffen große Bedeutung. Wir müssen eine neue Abrüstungsdynamik erzeugen und wollen alles tun, um einen internationalen Ächtungsvertrag gegen einen Einsatz von Atomwaffen zu erreichen.

In Deutschland lagern auch 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges weiter Atomwaffen. Es gibt keine Fortschritte beim Abbau der Arsenale. Im Gegenteil, man hört von Plänen zur Modernisierung dieser US-amerikanischen Bomben.
Während Kasachstan sein Atomwaffenarsenal aus Sowjetzeiten verschrottet hat, hält die Bundesregierung bis heute an den US-Atomwaffen in Deutschland fest und duldet inzwischen sogar deren Modernisierung - und das entgegen einem Beschluss des Bundestages. Die SPD hat ihn nach ihrem Einstieg in die Bundesregierung im Koalitionsvertrag unterminiert, als sie zustimmte, dass der Abzug erst nach erfolgreichen Gesprächen mit Moskau über Russlands taktische Atomwaffen erfolgen könne. Doch die Strategie, die Atomwaffen hier in Deutschland als Hebel gegen Russland einzusetzen, kann nicht erfolgreich sein, denn sie verhärtet nur die Positionen. Wir erwarten von der SPD, dass ihr explizites Eintreten für die Abrüstung in der Vergangenheit zur klaren Ablehnung einer Modernisierung dieser Bomben und ihrer künftigen Stationierung führt.

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