In Melancholie verwahrt

Lichtfunken im Jammertal: Nadja Küchenmeister weiß, sie zu zünden

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Kann aus Welke und Finsternis Schönheit hervorgehen? Dass gerade Verfall unseren Sehnerv für neues Licht empfänglich macht, wusste schon Charles Baudelaire, als er sein Werk »Die Blumen des Bösen« (1857) schrieb. Aus dem Bewusstsein einer zerfasernden Welt vor der Schwelle zum 20. Jahrhundert erzählen seine Gedichte von Frühlingstaumel und Naturidylle, um sie sogleich in das Abgründige zu kippen. Wendet man sich nun dem neuen Lyrikband »Unter dem Wacholder« von Nadja Küchenmeister zu, scheint jene Epoche der großen Melancholie erneut aufzuleben.

Auch darin trifft man auf den gleichnamigen Text des französischen Poeten. Doch Blüten sucht man vergebens. Im Gegenteil: Alles ist von Anfang an von einem noch fahl schimmernden »schneerest« bedeckt. Dazwischen »führen wohl wege von hier in die irre«. Wenig später findet man die »Juli-Schwermut« (der Titel eines Gedichts von Stefan George). Auch hierin erzählt die Autorin in Anlehnung an die Vorlage von einem Sommer, der längst ins Spätjahr übergegangen zu sein scheint. Sehnsüchtig keimt noch im Lyrischen Ich der Wunsch auf: »wenn nur der sommer / immer bliebe und keiner müsste den anderen verlassen.« Einsam ist es in diesen elegischen Versen, geschrieben aus tiefster Traurigkeit und Askese.

Was sich hierin rührt, sind Funken aus der Vergangenheit. Eine gescheiterte Beziehung, Kindheitstage und immer wieder Winter, Frühling und Sommer. Da all dies im Passé zu versinken droht, klammert sich das Lyrische Ich an seine Erinnerungen. Schreiben als poetische Dia-Show, worin Bilder für Momente aufscheinen, nachdem man sie zuvor mühevoll zusammengetragen hat. Drum erklingt der Appell: »rette, was es noch zu retten gibt, ich träume / sternen, träume von dir, wie von einer Wasserquelle.«

Dass man über jenes Du zumeist nur weniges erfährt, verleiht den Gedichten ihre geheimnisvolle Anmut. Im Dialog liegt der Glutkern, um den Küchenmeister stets kreist, ohne ihn gänzlich zu berühren. Es geht um Räume, in denen man nur noch vereinzelt Spuren vom ehemals dort treibenden Leben findet, um Geister gestorbener Begleiter, die des nachts einfach nicht zur Ruhe kommen, und unentwegt um die Liebe und was von ihr bleibt. »wind kommt auf und reißt die schwalben von den drähten« heißt es in dem Gedicht »wolken«. Während das aufkommende Unwetter alles mit sich nimmt, kann nur die Vorstellungskraft noch manches festzuhalten suchen: »wolken sind / was deine augen waren«, aber auch diese dürften sich wahrscheinlich verflüchtigt haben.

Doch steht die Schwermut der 1981 in Berlin geborenen Autorin einzig im Zeichen des Verlusts? Indem Küchenmeister wie auch schon in ihrem letzten Lyrikband »Alle Lichter« (2010) bewusst mit Zitaten und klassischen Formen wie dem Sonett oder der Ballade an den Kanon anknüpft, mag ihre Literatur sich eher als ein Fortschreiben und eine Neuverfugung erweisen. Alles ist in diesen sanften, wunderbar berührend aufgehobenen Worten in Bewegung, was jedoch nie in bloße Verflüchtigung mündet. Melancholie fängt die Begrenzung des irdischen Daseins ein, um am Ende vielleicht einen weiteren, hoffnungsversprechenderen Horizont zu eröffnen.

Den letzten Beitrag des Buches »nichts« allzu pessimistisch als ein Requiem auf das Leben zu lesen, ließe daher alle Nuancen dieses so lakonischen wie auch grazilen Werkes außer Acht. Auf den ersten Blick weilt auch hierin das Feld brach vor der Nacht. Doch »der schatten wächst sich aus […] und nimmt sich, wo er kann, vom licht«. Letzteres gleicht einem Kerzenschein, aber er genügt, um den Leser im Innersten zu erwärmen.

Nadja Küchenmeister: Unter dem Wacholder. Gedichte. Schöffling & Co. 112 S., geb., 18,95 €.

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