Schauprozess gegen Umweltgruppe
Russische Umweltschützer stehen als »ausländische Agenten« vor Gericht
Es ist ein Präzedenzfall für alle russischen Nichtregierungsorganisationen (NGO): Die Anti-Atom-Gruppe Ecodefense, die erfolgreich gegen ausländische Kredite für ein in der Enklave Kaliningrad geplantes Atomkraftwerk gekämpft hatte, steht am Donnerstag vor Gericht, weil sie sich geweigert hatte, sich als »ausländischer Agent« eintragen zu lassen.
Am Donnerstag um 14 Uhr deutscher Zeit muss Ecodefense-Vorsitzender Wladimir Sliwjak dem Kaliningrader Gericht erklären, warum es seine Organisation versäumt hat, den Auflagen des 2012 verabschiedeten NGO-Gesetzes nachzukommen. Das sieht vor, dass sich Organisationen, die ausländisches Geld erhalten und politisch aktiv sind, als »ausländische Agenten« eintragen lassen. Nie werde seine Organisation dieser Anweisung nachkommen, erklärte Sliwjak gegenüber dem »nd«. Ecodefense habe sich immer für den Schutz der Umwelt eingesetzt, ohne hierbei politisch Position zu beziehen.
Der Fall Ecodefense ist auch noch in anderer Hinsicht ein Präzedenzfall: Die Gruppe ist die erste Nichtregierungsorganisation, die gegen ihren Willen und ohne ein Gerichtsverfahren vom russischen Justizministerium zum »ausländischen Agenten« erklärt wurde. »Unsere Situation unterscheidet sich von der anderer Menschenrechtsorganisationen, die gegen ihren Willen zu ›ausländischen Agenten‹ erklärt wurden«, sagt Sliwjak. Bisher sei dafür ein Gerichtsprozess notwendig gewesen, diese Chance habe Ecodefense nicht bekommen. Am 21. Juli sei die Einschätzung vom Justizministerium vorgenommen worden und nun werde Ecodefense auch noch dafür bestraft, dass man sich nicht selbst habe registrieren lassen.
Der Umweltschützer ist hinsichtlich des Verfahrens, das er als »Schauprozess« bezeichnet, pessimistisch: »Allein der Umstand, dass das Justizministerium ein Gutachten erstellt hat, das angeblich beweist, dass wir ›ausländische Agenten‹ seien, lässt nichts Gutes erwarten«, so Sliwjak. Das Gericht werde den Umstand, dass man vom Ministerium registriert sei, als Beweis für die Rechtmäßigkeit der Registrierung werten. Der Aktivist befürchtet eine Strafe von rund 800 000 Rubel (knapp 16 300 Euro).
Der Umweltschützer ist sich sicher, dass seine Gruppe für ihren erfolgreichen Kampf gegen das im Bau befindliche AKW abgestraft werden soll. »Bei den Kontrollen unserer Organisation durch das Ministerium interessierten sich die Beamten nur für ein Thema: unseren Kampf gegen das geplante Atomkraftwerk Kaliningrad. Niemand von ihnen wollte etwas über unsere Klimakampagne oder unsere Analysen über die Auswirkungen der Kohleindustrie auf die Gesundheit der Menschen in Russland wissen.«
Die Behörden wollen den Prozess gegen Ecodefense offensichtlich zügig zu Ende bringen: Bereits am 24. August sollte der erste Prozesstag stattfinden, die Verteidigung beantragte aber eine Verschiebung auf den 4. September. Die Anwälte der Umweltschützer kritisierten, dass ihnen die 300-seitige Anklage erst wenige Stunden vor Verhandlungsbeginn zugestellt worden sei.
Als erste Gruppe hatte Ecodefense bereits im Jahr 2007 die Pläne des russischen Atomkonzerns Rosatom zum Bau eines Atomkraftwerkes in der Enklave Kaliningrad öffentlich gemacht. In der Folge gelang es den Umweltschützern nicht nur, die Bevölkerung der Region von der Gefährlichkeit der Pläne zu überzeugen. Gemeinsam mit internationalen Umweltgruppen, der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, der Umweltschutzgruppe Urgewald sowie Bundestagsabgeordneten von Linkspartei und Grünen konnten die russischen Atomkraftgegner auch potenzielle Kreditgeber von der Sinnlosigkeit des Projektes überzeugen. »Deutsche und französische Banken (HVB und BNP Paribas) hatten auf Kampagnen von Ecodefense, Urgewald, Banktrack und Les Amis de la Terre reagiert und nach ursprünglichem Interesse von der Finanzierung des Projektes Abstand genommen. Damit war die Finanzierung zusammengebrochen, mussten die Planungen aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden«, erklärte Urgewald zum gemeinsamen Erfolg russischer und westlicher Anti-Atom-Gruppen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.