Die Vergessenen

Zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan wird nicht mehr über die unschuldigen Toten gesprochen

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 3 Min.
Spätestens nach der »Kunduz-Affäre« weiß man, dass die Bundeswehr in Afghanistan nicht die deutsche Freiheit verteidigte, sondern aktiv an Kampfhandlungen beteiligt war. Über die Opfer wird geschwiegen, dabei waren es sehr viele.

Der 12-jährige Arif gehörte zu den Wenigen in seinem Dorf, die lesen und schreiben konnten. Für die anderen Dorfbewohner war er ein Segen. Immer half er ihnen, Briefe zu schreiben. Dadurch verdiente er sich auch ein bisschen Taschengeld. Heute ist man im Dorf ratlos. Arif kann niemanden mehr helfen, denn er ist tot. Ermordet wurde er von einem deutschen Bundeswehroberst, der vor rund fünf Jahren im nordafghanischen Kunduz zwei Tanklaster bombardieren ließ.

Für die deutsche Öffentlichkeit war das Bombardement von Kunduz wohl das prägendste Ereignis des Afghanistan-Krieges. Spätestens seit jeher weiß man, dass die Bundeswehr am Hindukusch nicht die deutsche Freiheit verteidigt, sondern aktiv an Kampfhandlungen beteiligt ist – und eben auch Zivilisten tötet.

Für die Bundeswehr artete die sogenannte »Kunduz-Affäre« zum Skandal aus. Schon kurz nach dem Angriff, bei dem mindestens 137 afghanische Zivilisten getötet wurden, kam auch die NATO zum Schluss, dass der damalige Bundeswehroberst Georg Klein einen schwerwiegenden Fehler begangen hat. Unter anderem hatte Klein damals dem US-amerikanischen Bomberpiloten gemeldet, dass sich ISAF-Truppen im Kampf mit dem Feind befinden würden. Außerdem fügte er hinzu, dass sich bewaffnete Taliban-Kämpfer um den Tanker versammelt hätten. Beide Meldungen stellten sich als falsch heraus.

Für die Ermordung Arifs und der anderen Zivilisten, die sich damals um die Tanklaster versammelt hatten, um Benzin anzuzapfen, wurde Klein bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Strafverfahren gegen ihn wurde schon längst eingestellt. Stattdessen wurde Georg Klein im vergangenen Jahr zum General befördert. Nun – kurz vor dem Abzug aus Afghanistan – will die Bundeswehr erst recht nichts mehr von der Kunduz-Affäre wissen. Auch seitens der Politik wurde sie schon längst verdrängt.

Jemand, der diese Haltung beinhart zu spüren bekam, ist der deutsch-afghanische Rechtsanwalt Karim Popal. Popal vertritt die Opfer aus Kunduz und musste bis heute eine Schlappe nach der anderen hinnehmen. Ende vergangenen Jahres hat das Landgericht Bonn eine Klage Popals abgewiesen und kam zum Schluss, dass der deutsche Staat den Hinterbliebenen vor Ort keinen Schadensersatz zahlen müsse.

»Die Bundesregierung hatte nie das Interesse, die Kunduz-Affäre aufzuklären«, betont Popal, der das Bonner Urteil nicht hinnehmen und nur vor zweiter Instanz klagen will, heute. Dass sich Popal durch seine Arbeit in einigen Kreisen unbeliebt machte, wurde deutlich, als im Jahr 2010 eine mediale Hetzkampagne gegen ihn gestartet wurde. Unter anderem wurde dem Anwalt unterstellt, er pflege Verbindungen zu Islamisten und Taliban. Außerdem hieß es, er wolle sich nur persönlich bereichern. Obwohl alle Behauptungen weder Hand noch Fuß hatten und sich im Nachhinein als falsch herausstellten, war Popals Ruf nachhaltig beschädigt.

Im Dunkeln blieb bis jetzt die Tatsache, dass die Bundeswehr auch anderswo in Afghanistan für zivile Todesopfer verantwortlich ist. Nach Informationen des ARD-Magazins »Monitor« kamen bei der ersten offensiven Operation der Bundeswehr in Afghanistan – ebenfalls im Norden des Landes - mindestens 27 Zivilisten ums Leben. Die Bundeswehr hat stets beteuert, dass es bei der Operation »Halmazak« (Dari: Blitz) keine zivilen Opfer gegeben hat. Das Bundesverteidigungsministerium hat sich zu diesem Thema bis jetzt nicht geäußert. Mehrere Anfragen des Monitor-Teams blieben unbeantwortet.

In Afghanistan erwartet man von der Bundesregierung ohnehin keine entgegenkommenden Gesten mehr. Nachdem Klein befördert wurde, war die Empörung ohnehin schon groß genug. Dass den Opfern aus Kunduz Gerechtigkeit widerfährt oder dass Arifs Verwandte entschädigt werden, ist für sie nur noch ein traumähnlicher Gedanke. »Die Deutschen kümmern sich nicht mal richtig um ihre Dolmetscher. Warum sollten sie da überhaupt an ihre Opfer denken?«, hört man nicht selten. Die meisten Menschen gehen davon aus, dass die Opfer nach dem Abzug endgültig in Vergessenheit geraten werden. Wahrscheinlich haben sie damit nicht Unrecht.

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