Fromme Lieder gegen Rinder-Zwangstests
Oberallgäuer Bauern wehren sich gegen Phenol-Spritzen für ihre Kühe, mit denen TBC festgestellt werden könnte
Zuerst war es ein lautstarker Protest mit Trillerpfeifen und Kuhschellen. Inzwischen sind es ruhigere Methoden wie der Gesang frommer Lieder oder Beten, mit denen sich Milchbauern im Oberallgäu dagegen wehren, dass ihre Rinder auf Tuberkulose (TBC) untersucht werden. »Unseren Veterinären blieb in einzelnen Fällen nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge vom Hof abzuziehen«, sagt Andreas Kaenders, Sprecher des Landratsamtes in Sonthofen in Bayern. Doch es werde für keinen Betrieb eine Ausnahme geben: Wer seine Tiere nicht untersuchen lässt, dem drohen Zwangsgelder. »Die TBC gehört zu den gefährlichsten Krankheiten weltweit. Wer den Test verweigert, gefährdet den Verbraucherschutz.«
Im Herbst 2012 waren im Oberallgäu die ersten Fälle von Rinder-TBC aufgetreten. Das Landratsamt, das eine Ausbreitung der Krankheit unbedingt verhindern will, ordnete eine Reihenuntersuchung in allen rund 2000 rinderhaltenden Betrieben an. Mittlerweile wurden nach Angaben der Behörde fast alle Höfe und mehr als 72 000 Tiere untersucht. In 24 Betrieben sei TBC festgestellt worden - 952 Rinder wurden bislang getötet. Bauernhöfe, die infizierte Tiere im Bestand haben, bleiben sechs bis acht Wochen gesperrt. In dieser Zeit dürfen sie keine unbehandelte Milch und keine Rinder verkaufen. Derzeit sind noch vier Höfe wegen TBC gesperrt.
Immenstadt. Auf den Bergweiden der Bayerischen Alpen sind in der zu Ende gehenden Sommersaison ungewöhnlich viele Rinder verendet. »Es waren auf jeden Fall mehr als im letzten Jahr«, sagte der Vorsitzende des Alpwirtschaftlichen Vereins Allgäu, Franz Hage. Wie viele Tiere genau im Allgäu bei Abstürzen, durch Blitzschläge oder in Folge von Verletzungen ums Leben kamen, konnte er noch nicht sagen. In Oberbayern bereitet manchem Almbauern auch Sorge, dass etliche Tiere an bisher unerklärlichen Vergiftungen eingegangen seien. Zwar wird eine natürliche Ursache vermutet, etwa Schlangenbisse oder Allergien durch viele Wespenstiche, doch sei die Zunahme besorgniserregend, hieß es. Bis Ende des Monats werden in Bayern mehr als 50 000 Jungrinder und Milchkühe ins Tal getrieben. dpa/nd
Die Reihenuntersuchung löste große Spannungen zwischen Landwirten und Behörde aus. Im Sommer 2013 zogen rund 200 Bauern mit Transparenten durch die Fußgängerzone von Sonthofen, um ihren Unmut loszuwerden. Zu dem Protest hatte die Interessengemeinschaft für gesunde Tiere (IggT) aufgerufen. Ihrer Ansicht nach wird mit der flächendeckenden Untersuchung und der Tötung einiger Tiere mit übertriebener Härte durchgegriffen. Die Anordnung treibe manche Familie in den Ruin.
Doch der Kreis der Bauern, die sich gegen die Untersuchung ihrer Tiere sträuben, ist kleiner geworden. 17 Betriebe weigern sich nach wie vor, ihre Rinder testen zu lassen. Sie argumentieren, dass der Test keine zuverlässigen Ergebnisse liefere und zudem den Tieren durch das Phenol in der Spritze schade. »Wir können unsere Tiere nicht diesem russischen Roulette aussetzen«, sagt Irmgard Kiechle. Sie ist Mitglied der IggT und betreibt in Altusried im Oberallgäu einen Biohof mit gut 40 Milchkühen und ebenso viel Jungvieh. Auf anderen Höfen seien manche Tiere nach der Untersuchung krank geworden oder hätten ihre Kälber abgestoßen.
Zudem kritisiert Kiechle, dass die komplizierte Diagnostik dazu führte, dass fast 1000 Tiere getötet und zwischenzeitlich mehr als 200 Bauernhöfe auf Verdacht gesperrt worden waren - teilweise bis zu einem halben Jahr. »Das bringt einen Hof finanziell in sehr große Schwierigkeiten.« Sie sei nicht grundsätzlich gegen die Bekämpfung von TBC, sagt Kiechle. »Wenn uns eine Testmethode angeboten wird, die kein Gift in unsere Tiere spritzt und zuverlässige Ergebnisse bringt, sind wir die letzten, die sich dagegen wehren.« Bis dahin jedoch werde sie ihre Rinder nicht untersuchen lassen.
Im Landratsamt stößt dies auf Unverständnis. Nach mehreren Gesprächen, die zu keiner Einigung führten, hat sich Landrat Anton Klotz (CSU) nun direkt an die Verweigerer gewandt. »Mit jedem Tag steigt das Risiko, dass infizierte Tiere, die noch nicht erkannt sind, selbst infektiös werden«, schreibt er. »Weitere Verzögerungen sind unverantwortlich.« Er bietet den Landwirten an, bei jedem Tier eine sterile Kanüle zu verwenden. Auch werde er den Wunsch erfüllen, hochträchtige Rinder befristet zurückzustellen und Sperrmaßnahmen auf das Allernötigste zu beschränken.
Klotz stellt in dem Schreiben aber auch klar, dass für noch nicht untersuchte Betriebe Testanordnungen erlassen würden. Zudem würden Zwangsgelder verhängt. »Sie stehen also in Gefahr, dass Sie völlig sinnlos erhebliche finanzielle Einbußen erleiden.« Biobäuerin Kiechle setzt alle Hoffnungen in ein weiteres Gespräch, das der Landrat in diesen Tagen mit den Verweigerern und Vertretern des Ministeriums führen will.
Bisher handelt es sich bei Rinder-TBC in erster Linie um ein Oberallgäuer Problem. dpa/nd
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