»Tu deinen Mund auf für die andern«
Gisela Steineckert: Bei »nd im Club« hatte ihr neuer Gedichtband Premiere
Die ersten 100 Exemplare frisch aus der Druckerei: Nicht einmal die Autorin selbst hatte ihr Buch vorher gesehen. Eine Premiere also ganz und gar im Haus am Franz-Mehring-Platz, ein »Heimspiel«, wie Gisela Steineckert es nannte. Denn die da gekommen waren am Mittwochabend waren wohl in ihrer Mehrzahl nicht zum ersten Mal bei einer Lesung von ihr. Indes, eine »Lesung« sollte es ja gar nicht sein. Diese Schriftstellerin verfügt bekanntlich nicht nur über ein Talent zum Schreiben, sie ist auch eine Vortragskünstlerin, von der man glauben könnte, sie käme auch ohne geschriebene Texte aus. Aber das scheint nur so, in Wirklichkeit steckt eine Arbeit dahinter, die man eben nicht sieht. Leichtigkeit - als ob etwas gerade erst erdacht worden wäre angesichts eines erwartungsvollen Publikums. Zu diesem Publikum spannt sie unsichtbare Fäden - bereits vor Veranstaltungsbeginn, wenn sie auf dem Podium sitzt, den Saal erspürend. Da sieht man Begrüßungen, Umarmungen. Leute kommen zu ihr, bringen ein Buch zum Signieren oder wollen auch nur einfach persönlich Guten Abend sagen, sich austauschen, wie es so geht. Ihre Sorgen loswerden.
»Wer meint, dass er immer weiter weiß, der lügt«, sagte nd-Geschäftsführer Olaf Koppe zur Begrüßung und spielte damit auf den gelungenen Buchtitel an. Den könnte man als Versprechen verstehen, dass einem durch die Lektüre Hilfe zuteil würde. Indem Leser im Buch die Fragen, Sorgen, Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte, Erfahrungen wiederfinden, die sie selber gut kennen, wird Bekräftigung erfahren. Wobei Gisela Steineckert, das merkte man auch an diesem Abend, mit wechselnden Tonlagen zu spielen vermag: Leise Nachdenklichkeit, entschiedenes Bekennen, verschmitzter Humor bis hin zu Textszenen, die reif fürs Kabarett wären. Ein Schreiben, das von vornherein aufs Zwiegespräch aus ist und dieses manchmal auch direkt sucht. Mit sich selbst im Disput zu sein - ein künstlerisches Mittel und sein alltäglicher Sinn. Sich selbst zu befragen, ob leise oder heimlich laut, und nach Antworten zu suchen, bringt oft voran, zumal in schwierigen Lebenslagen.
Manchmal habe sie ein Gedicht ganz anders gemeint, als es von Lesern dann aufgefasst wurde, die eine allgemeine Aussage persönlich nahmen, sagte Gisela Steineckert. Das Überraschende freut sie, jeder habe doch ein Recht auf eigene Wahrnehmung. Das war auch der Reiz an diesem Abend. »Abseits der Straße« - das Gedicht, als lächelnd melancholischer Rückblick geschrieben, wird bei dem einen oder anderen im Saal persönliche Erinnerungen geweckt haben, wie ein Liebesfeuer aus Vernunftsgründen gelöscht worden ist. Wenn über den Herbst gesprochen wird, dann werden Ältere auch an ihr Lebensalter denken und sich getröstet fühlen.
Natursymbolik immer wieder. Die Rose, die nicht Knospe bleiben kann, die erblühen muss: »Wir können verschlossen bleiben, aber die ganze Liebe, das ganze Leben ist es dann eben nicht.« Gelassenheit: »Du warst gelegentlich wahnsinnig unglücklich? Und? Wer nicht!« Momente der Schwäche seien jedem zugestanden. Aber dann: »Tu deinen Mund auf für die andern.«
Da kommt zum Persönlichen, Privaten bei Gisela Steineckert immer auch das Politische. Die Sorgen der Menschen im Saal, dass Kriegsbrände immer näher rücken, sind auch die ihren, und wenn sie ihrer Empörung darüber Luft macht, wie deutsche Medien alle Schuld am Ukraine-Konflikt auf Putin schieben, dann ist das nicht nur eine allgemeine Aussage, sondern hat in ihrer Deutlichkeit menschliche Bedeutung. Die Zuhörer spüren: Sie sind mit ihren Überzeugungen nicht allein.
Im Nachwort zum Band, das Gisela Steineckert an diesem Abend vortrug, umreißt sie ihr künstlerisches Credo. »Schreiben ist Aussprechen. So wichtig wie Talent ist der Mut zur Ehrlichkeit. Auch sich selbst gegenüber.«
Gisela Steineckert: Wenn du mal nicht weiter weißt. Gedichte. Verlag Neues Leben. 126 S., geb., 12,99 €.
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