Herzblatt mit Pfeffer
Schlagabtausch zwischen zwei von drei Kandidaten: Michael Müller und Jan Stöß diskutierten auf dem zweiten Mitgliederforum der SPD in Berlin
Wer das erste SPD-Mitgliederforum in der vergangenen Woche verfolgte, der wird in den Einstiegspräsentationen einiges wieder erkannt haben. Der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh wählte erneut den persönlichen Auftakt, begrüßte mit Angela Klemens eine Lehrerin aus Jugendtagen im Publikum und holte seine Lieblingsphrase «Kein Kind bleibt zurück» an den Anfang seiner Vorstellungsrede. Seinen Bildungsschwerpunkt suchte er diesmal direkt zu verbinden mit dem für Berlin wichtigen Thema Wirtschaft: «Was Angela macht, ist Wirtschaftsförderung. Sie fördert den Rohstoff Nummer eins: Kluge Köpfe.» Die Aussage war Anlass für eine Zuhörerin, später in der offenen Runde nach dem Menschenbild Salehs und seiner Mitbewerber zu fragen.
Jan Stöß wiederholte sein Credo, dass es heute keine Rolle mehr spiele, «wen man liebt», und aktualisierte seine Rede um Punkte aus seinem «100-Tageprogramm», das er vor wenigen Tagen vorgestellt hatte. Außerdem mokierte er sich über Äußerungen von Journalisten während des ersten Forums: «Die sind sich doch eh einig», hätte es unter anderen geheißen. «Natürlich sind wir uns einig, wir sind aus einer Partei. Aber es gibt Unterschiede und deswegen habe ich dieses Programm geschrieben.»
Das Eröffnungsstatement von Stadtentwicklungssenator Michael Müller unterschied sich am wenigsten von der ersten Version. Kurze Bio, gefolgt von einem Lauf durch die Themen Wohnungsbau und Mieten, soziale Stadt, Wirtschaft, Bildung sowie der Mitteilung, dass er sich (Wowereits) sozialdemokratische Erfolge nicht kaputtreden lassen wolle.
Den Reden folgte wieder die geschlossene Runde mit Fragen der Moderatorin. Unter anderem wurde nach konkreten Plänen zum Thema BER gefragt. Hier wurde aus einer Präsentation übereinstimmender Schwerpunkte ansatzweise eine Diskussion. Zunächst indirekt Bezug nehmend auf Stöß' «100Tage-Programm» erklärte Müller, «wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viel versprechen. Die Berliner wissen, was geht und was nicht. Wir wollen diese Stadt gut regieren. Das ist es, was die Berliner von uns erwarten, nicht blumige Versprechen. Seine wiederholte Beteuerung, »wir haben viel erreicht, das lasse ich mir nicht wegnehmen«, griff Jan Stöß auf: »Ich finde diese Satz komisch: ›Wir lassen uns die sozialdemokratischen Flughafenerfolge nicht kaputt reden‹, ich finde, das zieht an dieser Stelle nicht mehr so richtig.«
Er erklärte, die Verantwortung für den BER einem Staatssekretär übergeben zu wollen und vor allem die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg zu verbessern und wieder enger zu gestalten. Müller konterte, der BER sei Chefsache und er wolle das nicht »an einen Staatssekretären delegieren oder sonstweg«. Auch mit unangenehmen Problemen müsse sich ein Regierender Bürgermeister befassen.
In der offenen Fragerunde schließlich wollte eine Zuhörerin wissen, wie angesichts des von Jan Stöß vorgelegten Programms die Ziele von Raed Saleh und Michael Müller für die ersten 100 Tage im Amt lauten. Zeitpunkt für den Schlagabtausch zwischen Müller und Stöß. Der Stadtentwicklungssenator erklärte, wir regieren jetzt und dafür gebe es einen Rahmen, einen Koalitionsvertrag. Er wolle keine Millardenprogramme versprechen. Fraktionschef Saleh schloss sich dem an: »Ich glaube, man kann nciht zu viel versprechen, sonst enttäuscht man Erwartungen.« Stattdessen soll man bestehende Punkte abarbeiten.
Gefundenes Fressen für Stöß: »Nur den Koalitionsvertrag abarbeiten reicht nicht. Im Schlafwagen werden wir die Wahl nicht gewinnen.« Anlass für Müller, seinem Ärger Luft zu machen. »Wenn wir uns gegenseitig kaputt reden, profitieren davon andere!« Es sei Dilek Kolat gewesen und nicht Czaja oder Henkel (beide CDU), die »am Oranienplatz die Richtung vorgegeben hat«. Auch 10.000 Wohnungen seien keine Schlafwagenpolitik.
Der Landeschef reagierte beleidigt. Unterschiedlicher Meinung zu sein, habe mit schlecht reden nichts zu tun. Und die Kritik an seinem Programm wundere ihn. Sozialdemokraten dürften ja wohl noch Ideen haben und Vorschläge machen.
Raed Saleh wirkte während dieser Debatte zwischen seinen Kontrahenten wie ein unbeteiligter Dritter. Mit der Erklärung, die Kultur zur Chefsache machen zu wollen, konnte er jedenfalls nicht punkten. Zum Amt des Regierenden gehört das Kulturressort bekanntlich bereits.
Zu guter Letzt waren sich Stöß und Müller wieder einig, als es darum ging, die Frage zu beantworten, ob die Kandidaten nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 wieder mit der CDU regieren würden. Unisono antworteten sie, die SPD werde kein Juniorpartner sein.
Das nächste Mitgliederforum findet am 8.Oktober in Karlshorst statt. Auch die dritte Runde kann im Internet via Livestream verfolgt werden.
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