Dünne Dicke der Zivilisation
Spielberg ist ein kleines Örtchen. 2800 Einwohner zählt der Flecken, in dem der ehemalige Nationalspieler Jens Nowotny aufwuchs. Der SV Spielberg ist der ganze Stolz des Örtchens, wegen Nowotny. Vor allem aber, weil der Dorf-Club in der Oberliga Baden-Württemberg spielt. Dort trifft man auf Vereine wie den SSV Reutlingen und den Freiburger FC. Ersterer war mal in der Zweiten Liga, letzterer sogar schon mal Deutscher Meister, beide bekommt zuweilen Fanbusse zusammen, in denen Fans sitzen. Große weite Fußballwelt also.
Nun, der SV Spielberg musste sein Heimspiel gegen den SSV Reutlingen schon zweimal absagen – aus Sicherheitsgründen. Die Polizei befürchtet so genannte »Drittort-Auseinandersetzungen«: Stuttgarter Ultras (die mit den Reutlingern gut können) könnten sich mit den Karlsruhern (die mit den Stuttgartern eher nicht so gut können) zu einem Match der fliegenden Fäuste verabreden. So ein Spiel, meint die Polizei, kann also nur dann stattfinden, wenn mindestens einer der beiden Vereine aus den beiden größten Städten Baden-Württembergs selbst ein Spiel hat. Damit die mit den fliegenden Fäusten anderweitig beschäftigt sind. Weshalb das Spiel gegen Reutlingen nun schon zweimal ausgefallen ist.
Man mag die Vorsicht der Behörden übertrieben finden, schließlich kann man sich schon fragen, ob selbst das worst-case-Szenario nicht mit ein paar Beamten zu verhindern wäre. Doch die Argumente verdorren im Munde, wenn man sich daran erinnert, was am Wochenende in Kaiserslautern passierte, als 100 Leute aus der KSC-Kurve auf 100 Gleichgesinnte des FCK trafen und sich dazwischen minutenlang ein paar Ordner befanden, die dafür ausgebildet sind, friedlichen Menschen den Weg zu Reihe 12, Platz sieben zu weisen. Nicht dafür, aufgeputschte Kampfmaschinen zu trennen. Ein sehr gelungener Schnappschuss zeigt einen älteren Ordner mit Brille, der eine ältere Ordnerin zu schützen versucht, während in unmittelbarer Nähe die Testosteron-Bomber auf sich eindreschen.
Tja, wie will man die Leute denn nun nennen, die sich da mitten im Stadion eine Dritte Halbzeit geliefert haben? Die »Ackerfraktion« der jeweiligen Ultraszenen? Junghools? Krawalltouristen? Eine bunte Mischung aus allen dreien Fraktionen? Es sind jedenfalls die, denen es völlig egal ist, was rechts und links um sie herum passiert.
Am Samstag war es interessant zu beobachten, wie die Masse der Augenzeugen auf der gegenüberliegenden Tribüne darauf reagierte, dass sich auf der Südtribüne 200 Leute prügelten. Kopf-ab-Sprüche gehörten noch zu den harmloseren Meinungsäußerungen. Wäre in diesem Moment eine Polizeieinheit aufmarschiert, die auf alle jüngeren Fans mit roten oder blauen Schals eingeprügelt hätte, hätte die Haupttribüne applaudiert, obwohl zu 99 Prozent Unschuldige getroffen worden wären.
Die Decke der Zivilisation ist dünn – auch auf der Haupttribüne. Das müssen Fußballfans wissen. Nicht nur die 200 Idioten, sondern die vielen tausend, die mit ihnen am Samstag in den gleichen Kurven standen. Es wird spannend sein zu beobachten, was auf den Transparenten steht, die bei den kommenden Spielen in der Karlsruher und der Lauterer Kurve gehisst werden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.