Sport, der die Werbung unterbricht
Alba Berlin besiegt die San Antonio Spurs, weil ein Basketballkrimi den Meister aus Amerika kalt lässt
Oh mein Gott, der ist ja drin! Gehört es wirklich zum Drehbuch, dass Alba Berlins Jamel McLean diesen letzten Notwurf mit der Schlusssirene in den Korb der San Antonio Spurs trifft? Die Meister aus der US-Profiliga NBA sehen jedenfalls nicht so aus. Irgendwie wollen die besten Basketballer der Welt schnell raus aus der Halle - an einem Abend, an dem sie sich eigentlich hatten feiern lassen wollen. Doch nun haben die Spurs mit 93:94 ein sicher geglaubtes Spiel verloren. Da will man nicht mehr bleiben. Und doch müssen sie noch ausharren. Kleine bunte Bälle mit dem NBA-Schriftzug drauf sollen sie in die Massen werfen. Das steht im Drehbuch. Dass Tim Duncan und Co. dabei grimmig dreinschauen, sicher nicht.
Die Spurs sind derzeit auf Europatour im Rahmen der sogenannten Global Games der NBA. Offiziell bestreiten sie Vorbereitungsspiele für die neue Saison, erst gegen Alba, am Samstag dann bei Fenerbahce Istanbul. Im Grunde ist das Ganze eine Werbetournee. »Wir beobachten jeden Markt, um zu sehen, wo wir in der Welt noch spielen können, wir suchen überall nach Orten, wo wir den größten Knalleffekt für unser Geld bekommen«, sagt NBA-Commissioner Adam Silver in Berlin. Und Geld ist genug vorhanden. Erst vergangene Woche konnte der Ligaboss den Abschluss eines neuen TV-Vertrags verkünden. Zwischen 2016 und 2024 werden 24 Milliarden Dollar (rund 19 Milliarden Euro) in die Kassen der Teams gespült. »Der Kuchen wächst«, verkündet Silver stolz.
Doch irgendwo ist immer noch mehr rauszuholen, also schickt die NBA ihre Stars nach Europa, Südamerika und Asien. Die Fußballer des FC Bayern München kopieren seit Kurzem englische und spanische Klubs, die ihre Vorbereitungsspiele seit Jahren in neuen Wachstumsmärkten austragen, doch die Vorbilder der Bayern schauten im Grunde selbst nur bei der NBA ab, die schon Ende der 70er Jahre Showmatches in Israel und sogar China abhalten ließ.
»Unser Sport wächst weltweit«, so Silver. Selbst in Afrika wird im nächsten Jahr erstmals gespielt. Journalisten aus Ungarn, Polen, Italien, Frankreich und den Niederlanden sind dieser Tage nach Berlin gereist, um Silver zu fragen, ob die NBA denn auch mal bei Ihnen vorbeischaut, doch ihm sind keine weiteren Pläne zu entlocken. Feststeht nur, dass am 15. Januar in London sogar ein reguläres NBA-Hauptrundenspiel zwischen den New York Knicks und den Milwaukee Bucks ausgetragen wird. »Das ist ein Test. Wir wollen sehen, wie die Teams mit dem Reisestress mitten in der Saison klarkommen«, so Silver. Wenn es gut läuft, kommen wohl bald häufiger zwei NBA-Mannschaften nach Europa, um sich hier zu messen und noch ein paar mehr Jerseys an die Fans aus Übersee zu verkaufen. Die sehen ihre Stars immer gern - das Testspiel San Antonios in Berlin war schon nach zwei Stunden ausverkauft. Zu regulären Alba-Spielen ist die Halle nur selten voll.
An diesem Mittwochsabend sitzen dort, wo ansonsten eine gelbe Wand aus Alba-Fans springt, trommelt und brüllt, nun also weit ruhigere, ältere Herrschaften in Anzügen. Bei der Vorstellung der Teams bekommen die NBA-Stars Tim Duncan, Tony Parker und Manu Ginobili mehr Applaus als die deutschen Nationalspieler im Alba-Trikot. Alles ist hier auf den NBA-Klub ausgerichtet, der die Fans schon beim Einspielen staunen lässt. Während sich die Berliner Spieler die Bälle gegenseitig zuwerfen, hat jeder Profi aus Texas zwei Helfer dabei: Einer fängt die Abpraller vom Korb, ein anderer passt ihm schon den nächsten Ball zu. Auch für die Pressekonferenzen hat die NBA eigene Mikrofontester und Platzanweiser mitgebracht. Die wollten offenbar alle mal Berlin sehen.
Als die Partie, deren 48 Spielminuten auf gut 150 gestreckt werden, endlich losgeht, wird sie immer wieder unterbrochen. Jedes Team bekommt zehn Auszeiten, so dass auch wirklich alle Sponsoren ein Gewinnspiel zum Verschenken ihrer T-Shirts und Schuhe bekommen. Ein Fan darf sogar von der Mittellinie um 50 000 Euro werfen. Er trifft nicht. Natürlich gibt’s trotzdem einen Gutschein.
Als kurz vor der Halbzeitpause auch noch Lady Gaga am Spielfeldrand Platz nimmt - umringt von zehn Tänzern und wohl ebenso vielen Bodyguards -, wird der Sport endgültig zur Show. Gaga tritt nicht mal auf. Sie spielt ihr Konzert erst am Tag danach an gleicher Stelle, doch immerhin sind hier mehr als 14 000 Menschen gekommen, um Stars zu sehen, die sie sonst nur aus dem Fernsehen kennen. Da passt Lady Gaga doch auch noch gut rein.
Zu dem Zeitpunkt führen die Spurs mit 16 Punkten. Startrainer Gregg Popovich wechselt sodann seine zweite Garde ein, und prompt ist Alba wieder dran. Man hat das Gefühl, dass sogar der Spielverlauf zum Skript gehört, denn ganz ähnlich lief es 2012 ab, als die Dallas Mavericks mit Dirk Nowitzki nur knapp gegen Alba gewannen. Ein bisschen spannend soll es sein, auch wenn sich kaum ein Zuschauer von seinem Sitz erhebt. Das passiert erst in der nächsten Auszeit, als T-Shirts in die Masse geschossen werden: »Hier, hier! Ich hab noch keins! Wie steht’s eigentlich?« Einem spannenden Basketballspiel wird die Spannung entzogen, die Spurs werden am Ende ja doch gewinnen.
Und dann verlieren die Spurs. 14 Sekunden vor dem Ende führen sie noch mit vier Punkten. Dann verwirft Europameister Parker zwei Freiwürfe, Albas Reggie Redding trifft einen schwierigen Dreier, NBA-Ikone Tim Duncan verliert beim nächsten Angriff den Ball, und McLean darf zum Helden werden. Da springen die Zuschauer doch mal wegen des Sports von ihren Sitzen. Nur Lady Gaga bleibt sitzen und hält sich vor Schreck nur den Mund zu. Den anderen Fans ist das egal. Sie klatschen und tanzen. Ganz nebenbei fliegen ihnen auch noch kleine bunte Bälle von ihren Idolen entgegen. Was gibt es Schöneres?
Die NBA-Sieger-Besieger von Alba jubeln, als hätten sie gerade die Meisterschaft gewonnen. »Ich bin sehr glücklich«, sagt Trainer Sasa Obradovic, der offenbart, in seinem Gegenüber Popovich den besten Trainer der Welt zu sehen. »Der Sieg kommt definitiv in meine Vita. Wir haben heute einen der größten Siege eines europäischen Teams gegen ein amerikanisches erlebt.« Niels Giffey freut sich über seinen »ersten NBA-Sieg«, und Teamkollege McLean spricht vom »wichtigsten Wurf meiner Karriere. So gut wie in diesem Moment habe ich mich noch nie gefühlt. Ich wusste gar nicht, wie ich jubeln sollte.«
An die große Glocke wollen die Gäste ihre Niederlage dann doch nicht hängen. »Ich verliere nie gern, aber das war unser erstes Saisonspiel. Wir haben nach dem Urlaub erst zehnmal miteinander trainiert«, sagt der Argentinier Manu Ginobili. »Wir versuchten schon zu gewinnen, aber Alba hat uns den Hintern versohlt«, fügt Coach Popovich an, um noch mitzuteilen, wie schön es doch in Berlin war. »Die Leute waren sehr nett, das Essen war toll.« Vor der Erfindung der E-Mail schrieb man so etwas im Ferienlager auf eine Postkarte.
»Natürlich ist das ein Promotion-Trip für die NBA und die Spurs«, gibt Ginobili noch zu. »Aber wir nutzen ihn auch, um als Team zusammenzufinden. Wir könnten in unserer eigenen Halle sicher viel härter trainieren. Aber hier konnten wir mal eine andere Stadt genießen, miteinander essen gehen und viel reden.« Klingt alles ganz nett, aber irgendwie nicht nach Hochleistungssport.
Dass der mal regelmäßig auf NBA-Niveau in Europa geboten werden könnte, steht weiter nur in den Sternen. »Unsere Hoffnung bleibt, dass wir irgendwann nach Europa expandieren«, sagt NBA-Boss Silver. Doch bei den Einnahmen aus Fernsehrechten, Sponsoring und Tickets hätten europäische Städte noch immer einen großen Nachteil gegenüber ihren Konkurrenten in Nordamerika. »Unser Modell funktioniert hier noch nicht.« Schon gar nicht, wenn so basketballverrückte Länder wie Griechenland, Italien und Spanien in tiefen Wirtschaftskrisen steckten. Also bleibt es vorerst bei T-Shirt-Kanonen und Gewinnspielen.
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