»Ich empfinde mich nicht als behindert«
TV-Tipp: In »Dr. Klein« erhält ChrisTine Urspruch erstmals eine Serien-Hauptrolle
Frau Urspruch, da lernt man sein Leben lang, alle Menschen, die irgendwie von der Norm abweichen, bloß nie aufs Körperliche zu reduzieren, und dann heißt ihre Serienfigur allen Ernstes Dr. Klein. Geht’s noch platter? (lacht) Ach wissen Sie, wenn alles immer nur der Norm entspricht und jeder Hinweis auf Abweichungen wegfiele, wäre das Leben doch ziemlich langweilig. Deshalb finde ich den Namen auch vor allem witzig, nicht diskriminierend. Außerdem schafft er Aufmerksamkeit für die Geschichte und macht neugierig.
Hat der Titel also mehr damit zu tun, dass deutsche Serien gern sprechende Figurennamen wie Fuchs und Gans haben? Vielleicht. Aber es hat vor allem mit mir zu tun und wie ich im echten Leben mit meiner Größe umgehe. Denn das, was draufsteht, ist bei mir auch drin. Und die kleine Frau von 1,32 Meter hat in der Serie unabhängig vom Namen riesige Aufgabe zu erfüllen, die sie mit Bravour erledigt. Sehen Sie den Namen daher doch lieber als Kontrastmittel, das sich auf alle Frauen in männerdominierten Welten wie Krankenhäusern anwenden lässt, wo es kaum Oberärztinnen gibt.
Handelt die Serie von einer Kleinwüchsigen, die zufällig Ärztin ist, oder einer Ärztin, die zufällig kleinwüchsig ist? Definitiv letzteres. Zumal auch die anderen Protagonisten selten der Norm beziehungsweise bestimmten Klischees entsprechen. Deshalb gibt es ja auch den schwulen Chefarzt, der sich mit Adoptionsfragen befasst. Das wirft gesellschaftliche Fragen auf, über die man am Beispiel der Serie gern nachdenken darf.
Sind Film und Fernsehen bei uns schon reif, Menschen ungeachtet ihrer Äußerlichkeiten zu besetzen? Das nehme ich so wahr, auch wenn es in kleinen Schritten vor sich geht. Etwa dabei, Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr als solche zu besetzen. Man kann das auch an meiner Figur »Alberich« im »Tatort« sehen: Die hat sich längst von ihrer Körpergröße zu einer handelnden Figur emanzipiert. Das ist natürlich noch ausbaufähig, aber Silke Haller - wie sie übrigens heißt - ist eine gestandene Frau.
Ist es auch eine behinderte Frau, als die Sie Ihr Widersacher Dr. Lang in »Dr. Klein« einmal bezeichnet?
Ach, da gibt es im Englischen viel kreativere Begriffe wie »vertically challenged«, also eher herausgefordert als beeinträchtigt. Ich empfinde mich nicht als behindert, weil ich kaum Einschränkungen habe und nicht auf Hilfsmittel angewiesen bin, auch wenn ich nicht an alles rankomme. Aber Sie müssen für bestimmte Höhen sicher auch mal auf einen Hocker steigen. Das ist eine Frage der Perspektive.
Die sich bei Ihnen schon im Namen zeigt, den Sie bewusst mit großem T schreiben.
Um einen spielerischen Umgang mit meiner Größe zu offenbaren, ja. Wir Deutschen problematisieren ja gerne Vieles, da versuche ich es gern mal ein bisschen lockerer zu sehen.
Was kennzeichnet Sie denn übers Körperliche hinaus als Schauspielerin - das Komödiantische, Leichte? Schon. Das Komödiantische liegt mir schon sehr. Aber keine Sorge: Ich kann auch Drama und spiele es sogar am Theater. Aber unterschätzen Sie nicht das Dramatische an der Komödie, das gibt es auch in »Dr. Klein«.
Waren Sie dafür in einer Schauspielschule?
Nein. Viele meiner schauspielerischen Fähigkeiten beruhen eher auf Fortbildungen und learning by doing.
Was war dabei Ihr Durchbruch: »Das Sams« oder der »Tatort«?
Eine Verkettung von Zufällen und Zusammenkünften, aber auf die Kinohauptrolle im »Sams« werde ich noch immer oft angesprochen, die empfinde ich bis heute als Bestätigung eines langen Weges ins Schauspiel. Daraus resultierte dann der »Tatort« und daraus wiederum »Dr. Klein«. So kommt eins zum anderen.
Sehen Sie »Dr. Klein« als weiteren Emanzipationsschritt?
Absolut, da mache ich innere Freudensprünge. Gerade, weil ich aus der Nebenrolle in die erstere Reihe trete, mit einer Figur, die mir auf den Leib geschrieben wurde. Davon träumt fast jeder Schauspieler.
ZDF, 19.25 Uhr
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