Ökonomen, Gewerkschafter und Politiker loben Piketty

IMK-Chef Horn: Franzose hat Ungleichheit von Vermögen wieder ins Zentrum der Debatte gebracht / Gewerkschafter Urban: Alle politischen Akteure nun gefordert / Chef der Europäischen Linken: Jetzt über Besteuerung von Reichen diskutieren

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Politiker und Wissenschaftler haben die Forschungsarbeit des französischen Ökonomen Thomas Piketty als wichtigen Beitrag im Ringen gegen die immer weiter zunehmende Ungleichheit gewürdigt. Es sei sein Verdienst, »dass die Ungleichheit der Vermögen endlich wieder diskutiert wird«, meint Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung, in der in Berlin erscheinenden Tageszeitung »neues deutschland«. Mit Pikettys Arbeit sei »die 
neoklassische Wirtschaftslehre als ideologische Rechtfertigung 
des Kapitalismus nun endgültig 
in die Krise geraten«, schreibt John Bellamy Foster, Professor für Soziologie an der University of Oregon in Eugene und Herausgeber des marxistischen Magazins 
»Monthly Review«, in einem Kurzbeitrag für die Zeitung. In der vergangenen Woche war Pikettys viel beachtete Studie »Das Kapital im 21. Jahrhundert« auf Deutsch erschienen.

Was Politiker und Ökonomen von Thomas Piketty halten? Lesen Sie am Montag die vollständigen Antworten in »neues deutschland« - in der große Piketty-Ausgabe: der französische Ökonom im Kurzgespräch, Analysen über Reichtum und Ungleichheit sowie Texte zur Debatte über Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert«.

»Genau in den Nachwehen der Großen Rezession erschienen, hat seine beeindruckende Arbeit die Ungleichheit ins Zentrum der makroökonomischen Analyse gerückt. Auf diese Weise liefert er enorme Belege, die die Zwänge des Auseinanderklaffens im Prozess der Akkumulation von Kapital und Reichtum dokumentieren«, so Riccardo Rovelli, Wirtschaftsprofessor an der Università di Bologna.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, nennt Pikettys Buch in »nd« einen »der wichtigsten Beiträge zur gesellschaftlichen Diskussion der letzten Jahre«. Der Franzose habe nachgewiesen, »dass der gewachsene gesellschaftliche Reichtum nur einer Minderheit zugute kommt und wir in einer Klassengesellschaft leben«. Auch habe er gezeigt, »dass diese Dynamik des Kapitalismus immer mehr zu einer Oligarchie führt: Eine kleine Elite von Vermögensbesitzern dominiert durch ihre finanzielle, wirtschaftliche und politische Macht die Entwicklung der Gesellschaft und vererbt Reichtum, Macht und Privilegien.«

Hans-Jürgen Urban vom geschäftsführenden Vorstand der 
IG Metall nannte die Aufmerksamkeit, die Piketty mit seinem Buch hervorgerufen hat, erfreulich. Dies eröffne eine neue Chance, »die Polarisierung in der Einkommens- und Vermögensverteilung als Systemdefekt des kapitalistischen Marktes zu analysieren – und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen«. Alle politischen Akteure mit gerechtigkeitspolitischen Absichten seien gefordert, sich dieser Debatte zu stellen. »Das gilt auch für die Gewerkschaften«, so Urban.

Die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds ETUC, Bernadette Ségol, sagte, »die Ausbreitung von Ungleichheit ist einer der größten moralischen Skandale unserer Zeit und ein sozialer wie ökonomischer Nachteil für unsere Gesellschaft als Ganzes«. Mit Blick auf Pikettys Studie sagte sie: »Das Ausmaß des Problems wird langsam verstanden, aber wir brauchen eine noch breitere Debatte über Lösungen dafür.« Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold wies darauf hin, dass es die gegenwärtige Krise in Europa »mit einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung, wie sie auch Thomas Piketty vorschlägt«, so nicht gegeben hätte. »Daher ist ein Lastenausgleich, in dem die Vermögenden in allen Ländern zur Überwindung der Krise beitragen, so wichtig«, so Giegold gegenüber »nd«.

Der Vorsitzende der Europäischen Linken und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, Pierre Laurent, sagte, »das Werk von Piketty beweist, dass das Anwachsen von sozialer Ungleichheit Ergebnis der Ungleichheit der Vermögen ist und nicht der Unterschiede der individuellen Leistungen. Das erlaubt eine Debatte über die Besteuerung von Reichen.« Markus Henn von der Nicht
regierungsorganisation Weed sagte mit Blick auf die Fakten über die Verteilung von Reichtum: »Die Datenlage über Reichtum ist insgesamt schlecht, unter anderem durch die Abschaffung von Vermögenssteuern wie in Deutschland.« Pikettys Datensammlung sei »ein wichtiger Ansatz, die Lücke zu schließen. Dies kann aber nur ein Anfang sein.«

Der Gründer des Global Institute for Tomorrow in Hongkong, Chandran Nair, warnte allerdings davor, sich ausschließlich auf ökonomische Ungleichheiten zu konzentrieren. Diese seien zwar »eine der größten Herausforderungen, denen die Regierungen sich stellen müssen. Aber die akuteste Form dieser Ungleichheit besteht darin, dass es hunderten Millionen auf der Welt am Zugang zu den grundlegenden Mitteln mangelt, wie Unterkunft, ausreichende und gesicherte Ernährung, sauberes Trinkwasser und elementare sanitäre Einrichtungen. Wenn wir unsere Ressourcen nicht für einen nachhaltigen Zugang aller Menschen bewahren, wird uns die einfache Umverteilung von Einkommen nicht retten.«

Arne Holzhausen, Ökonom beim Finanzkonzern Allianz und Mitautor des »Allianz Global Wealth Report«, verwies dagegen darauf, dass in globaler Perspektive Hunderten von Millionen Menschen »in den letzten Jahren der Aufstieg in eine globale Mittelklasse gelungen« sei. Immer mehr Menschen, gerade auch aus den ärmeren Ländern, würden weltweit am privaten Reichtum partizipieren. Es sei zwar richtig, dass »in vielen – bei weitem aber nicht allen – Ländern die Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren zugenommen hat«. Aber auch »die Frage der Ungleichheit ist eine Frage der Perspektive«, so Holzhausen.

Der Österreicher Walter Baier, Koordinator des linken europäischen Netzwerks »transform!«, nannte die Verteilungsfrage »eine Grundfrage. Sie beschränkt sich nicht auf Einkommen und Güter, sondern schließt Eigentum, Macht, Ressourcen, Information und Lebenschancen ein«. Die gegenwärtig negative Entwicklung müsse »ins Zentrum wissenschaftlicher und öffentlicher Erörterung rücken. Dazu tragen Pickettys Buch und seine Übersetzung ins Deutsche bei.« nd

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