Erste Risse in der Koalition
Die Angriffe des Wirtschaftsflügels der Union zielen auf die Kanzlerin und treffen die SPD
Schlagzeilen vermitteln den Eindruck eines Schocks: Mit der Wirtschaft geht es bergab. Und obwohl es nicht wirklich um Abschwung geht, sondern um ein verlangsamtes Wachstum, auf dem die Bundesregierung nunmehr ihre Prognosen aufbaut, meldet sich der Wirtschaftsflügel der Union unverzüglich laut zu Wort. So, als hätte er nur auf die Gelegenheit gewartet. Seine Botschaft: Geld für soziale Wohltaten darf es keins mehr geben. Stattdessen sollen Entlastungen der Wirtschaft diese auf Trab bringen.
Beinahe hysterisch muten die Zwischenrufe an. Warner malen den Teufel an die Wirtschaftswachstumswand. Rente mit 63 und Mindestlohn aussetzen, selbst die läppische 30-Prozent-Frauenquote für DAX-Unternehmen wird in Frage gestellt und an neue Bedingungen geknüpft. Eine »Unverschämtheit« nennt es Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD), »wenn Frauen in Führungspositionen als Belastung für die Wirtschaft dargestellt werden«. Und weil es der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Michael Grosse-Brömer, war, der die Frauenquote an ein nicht näher definiertes »wirtschaftspolitisches Entlastungsprogramm« zu knüpfen versuchte, sah sich auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zur Entgegnung veranlasst. Versöhnlich formulierte er, am Ende werde beides kommen, ausgeglichener Haushalt und Frauenquote. Eine Antwort ist das. Eine überzeugende noch nicht. Die SPD wirkt überrumpelt. Und der erste Koalitionsausschuss dieser Bundesregierung, der in der letzten Woche zusammentrat, scheint ihr die anrollende Gefahr noch nicht verdeutlicht zu haben.
Soziale »Wohltaten« sind als solche nicht immer zu erkennen. Weil die Wirtschaft dazu tendiert alles dazu zu zählen, was ihr Kosten bereitet - selbst wenn es sich um essenzielle Arbeitnehmerrechte handelt, die einzuräumen gerade mal einen Standard herstellt und noch lange keinen zusätzlichen sozialen Anspruch. Solche sind im Koalitionsvertrag etwa im Passus um Werkverträge festgehalten. In der FAZ forderte Carsten Linnemann, die bereits getroffenen Vereinbarungen auf ihre »Mittelstandstauglichkeit« abzuklopfen; in den Werkverträgen dürften wirklich nur die Informationsrechte des Betriebsrates geregelt werden, meinte Linnemann, der Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union ist. Damit fiele womöglich heraus, was Gewerkschaften seit vielen Jahren fordern und was nun vereinbart ist. Es geht um Barrieren für die Schwarzarbeit, die natürlich Geld kosten und den Betrieben, die sich über die Schwarzarbeit Kostenvorteile verschaffen, Steine in den Weg legen. Vorgesehen ist im Koalitionsvertrag, Kontrollen »zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren« - sprich, das dafür nötige Personal aufzustocken. Mittelstandsfreundlich im Sinne von Linnemann ist das vielleicht nicht.
Die Folgen solcher Zwischenrufe sind an den Fingern abzuzählen. Verunsicherung auf allen Seiten zunächst - bei den Betroffenen, bei den Gewerkschaften, bei der SPD. Und womöglich sogar bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als ungeheuerliche Dreistigkeit hätte man noch vor kurzem den Vorstoß einer Gruppe von 40 jüngeren Bundestagsabgeordneten gewertet, die die Kanzlerin derzeit mit einer »Agenda 2020« unter Druck setzt, und ihre Kritik dabei bestenfalls notdürftig zwischen den Zeilen versteckt. Der Initiator der Gruppe »CDU2017«, der CDU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Jens Spahn wirft Angela Merkel die »Gretchenfrage« vor die Füße, »ob wir endlich mal die Kraft zu Reformen haben, während es uns noch gut geht«. Und: »Wir müssen uns anstrengen, wenn wir wirtschaftliche Lokomotive in Europa bleiben wollen. Leider macht uns der derzeitige Erfolg eher träge als kreativ.«
Ein Affront. Umso bemerkenswerter, dass nach einer Sitzung des CDU-Vorstands am Montag von »Lob« der Kanzlerin und Parteivorsitzenden die Rede war. Etwa zeitgleich wurde die Information publik, dass der einstige Fraktionschef der Union im Bundestag, Friedrich Merz, in einer »Zukunftskommission« der CDU mitarbeitet. Merz war im Machtkampf an Merkel gescheitert und vor zehn Jahren aus der Politik ausgeschieden.
So viele freundliche Gesten gegenüber den internen konservativen Kritikern der Regierungspolitik gab es lange nicht. Ob es sich nur um Umarmung zum Zwecke der Vereinnahmung handelt, bleibt vorerst offen. Ebenso, ob der Erfolg der Alternative für Deutschland, der die Union mächtig unter Druck setzt, damit zu bremsen ist. Für wen die Risse in der Koalition am gefährlichsten sind, scheint indes klar: für die SPD.
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