In Würde zu gehen, ist nicht einfach
Die Diskussion um die Sterbehilfe ist stark von christlichen Motiven geprägt
»Jeder muss selbst bestimmen, was er noch ertragen kann.« Mit diesen Worten stellte Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) am Donnerstag in Berlin das fraktionsübergreifende Eckpunktepapier seiner Arbeitsgruppe vor. Hintze gehört neben dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach zu den führenden Köpfen eines Zusammenschlusses von Bundestagsabgeordneten, die die Sterbehilfe rechtlich absichern wollen. Mit im Boot sind auch die CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl sowie Carola Reimann von der SPD. Sie alle wollen eine zivilrechtliche Regelung der Sterbehilfe. Bislang ist die Behilfe zum Suizid, also etwa das Bereitstellen eines tödlichen Medikamentencocktails, nicht strafbar. Nach dem Willen der Parlamentariergruppe soll das so bleiben. Medizinern solle es auf freiwilliger Basis erlaubt sein, »sterbenskranken Menschen zu helfen, selbst aus dem Leben zu scheiden, friedlich zu entschlafen«, erläuterte Hintze. SPD-Fraktionsvize Carola Reimann betonte, die Gruppe setze sich für ein »würdevolles und selbstbestimmtes Sterben« ein.
Das Arbeitspapier der Gruppe heißt »In Würde sterben« und fasst in fünf Punkten die Positionen der Parlamentarier zusammen. Darin warnen sie ausdrücklich vor einer Lebenserhaltung um jeden Preis. »Wenn aus dem Schutz menschlichen Lebens ein staatlicher Zwang zum Leiden wird«, sei dies ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Ausdrücklich wendet sich die Gruppe gegen die Tötung auf Verlangen.
Dass sich die Truppe um Hintze und Lauterbach mit ihren Forderungen durchsetzen wird, ist unwahrscheinlich. Derzeit kursieren im Bundestag fünf unterschiedliche Konzepte zur Sterbehilfe. Zentraler Streitpunkt ist dabei die Frage, ob organisierte Sterbehilfe verboten werden soll. Insbesondere christliche Abgeordnete machen hier Gewissensgründe geltend. Sie lehnen den ärztlich assistierten Suizid ab. Ebenso wie die Kirche. »Das Angebot des assistierten Suizids ist im Grunde ein Eingeständnis des Versagens einer Gesellschaft, die es nicht schafft, alten, kranken und schwachen Menschen eine angemessene Begleitung zuteilwerden zu lassen«, sagte Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, am Donnerstag der »Passauer Neuen Presse«.
Obwohl sich in der Bibel kein ausdrückliches Suizidverbot findet, halten es sowohl Protestanten als auch Katholiken mit der Prämisse: Gott gab das Leben, Gott nimmt es wieder. Noch 1975 hieß es im Katechismus der Evangelisch-Lutherischen Kirche: Der Mensch habe kein Recht auf Suizid. Kein Wunder, dass sich kirchennahe Politiker hier so schwer tun.
Auch die Ärzte selbst sind in der Frage uneins. Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, äußerte sich im »Deutschlandfunk« am Donnerstag kritisch zum Eckpunktepapier. »Meine große Sorge ist, dass wir damit nach und nach einen Sog in die Selbsttötung auslösen.« Tatsächlich verbieten einige Landesärztekammern ihren Mitgliedern die Beihilfe zum Suizid. Die »taz« brachte diesen Irrsinn auf den Punkt: »Ärzte, die im falschen Bundesland Sterbehilfe leisten, riskieren ihren Job.«
Die prompte Reaktion der Bischöfe und der Ärzte zeigt auch, wie brisant das Thema ist. Weil es dazu in der Großen Koalition keine einhellige Meinung gibt, soll die Entscheidung aus der Mitte des Bundestags kommen. Der Fraktionszwang wurde dafür ausdrücklich aufgehoben. Ein entsprechendes Gesetz wird frühestens Mitte 2015 erwartet.
Dichter an der Position der Bischöfe ist die Gruppe von Parlamentariern aus CDU und CSU, die die geschäftsmäßige Suizidassistenz mit strafrechtlichen Mitteln verbieten wollen. Angehörige, die einmalige Hilfe leisten, sind davon jedoch ausgenommen. Zu den prominentesten Unterstützern dieser Position zählt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Wohl nicht ganz Unrecht hat Ex-Grünenchefin Renate Künast, wenn sie meint, dass es CDU und CSU beim Plan zum Verbot der organisierten Suizidbeihilfe darum gehe, »bestimmte kirchliche Milieus zu bedienen«. Auch die Grünen-Abgeordneten Harald Terpe und Elisabeth Scharfenberg fordern ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. In ihrem Entwurf ist der Kreis der Berechtigten aber größer. Demnach dürfen nicht nur Angehörige, sondern auch der Person Nahestehende die letzte Hilfe leisten. Auch das Konzept der beiden christlichen SPD-Bundestagsabgeordneten Eva Högl und Kerstin Griese plädiert für ein strafrechtliches Verbot von organisierter »Förderung und Unterstützung des Suizids durch Vereine oder Einzelpersonen«.
Eine vollkommen gegensätzliche Position vertritt die Künast, die ein Verbot von organisierter Sterbehilfe ablehnt. Allerdings könne der Gesetzgeber durchaus Bedingungen formulieren, wie den »Ausschluss kommerzieller Interessen«. Das deckt sich mit dem Vorschlag der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Linksfraktion, Petra Sitte, eine konkrete Hilfestellung »auch nichtkommerziell agierenden Vereinen oder vielleicht sogar einer gemeinnützigen Stiftung zu erlauben«.
Man darf gespannt sein auf die erste Bundestagsdebatte zum Thema am 13. November, wenn die Verfechter von mindestens fünf unterschiedlichen Konzepten aufeinandertreffen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.