Kämpfen für einen Hungerlohn
Neues Bündnis für Textilindustrie / Kambodschas Näherinnen fordern 177 Euro im Monat
Mit einen Bündnis für Fairness in der Textilbranche wollen VertreterInnen aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen sich für Verbesserungen in der Textilindustrie einsetzen. Hungerlöhne, Kinderarbeit und die Arbeit mit tödlichen Chemikalien bei der Produktion von Kleidung seien nicht länger hinnehmbar, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Donnerstag in Berlin.
Dem freiwilligen Bündnis haben sich bislang rund 30 Unternehmen angeschlossen, Branchenschwergewichte wie KiK, Otto, Lidl oder H & M sind aber nicht dabei. DGB-Chef Reiner Hoffmann bezeichnete die Initiative als »wichtigen Schritt, um die Arbeits- und Lebensbedingungen von Millionen Menschen zu verbessern«. Spätestens seit den tödlichen Unglücken im letzten Jahr sind die Bedingungen in der Textilproduktion weltweit bekannt.
In Kambodscha kämpfen TextilarbeiterInnen für 177 Dollar (140 Euro) Monatsgehalt. Die großen Modeketten wie Zara, H & M, Adidas produzieren in Asien zu Spottpreisen. Ein Einkaufswagen bei H & M oder Zara für 177 Dollar ist schnell gefüllt: Zwei Pullover, eine Hose, vielleicht noch ein T-Shirt dazu - kein Großeinkauf in jedem Fall. 177 Dollar Mindestlohn verlangen die kambodschanischen Arbeiter, die diese Kleidungsstücke nähen, pro Monat. Ein Einkommen, das in Kambodscha nur knapp das Überleben sichert. Für die Unternehmer dennoch eine utopische Forderung, die einige Näherinnen mit dem Leben bezahlen mussten. »Einen Lohn zum Leben« fordert die Menschenrechtsorganisation INKOTA im Rahmen der internationalen Kampagne für saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign - CCC). Zwei Gewerkschafterinnen aus Kambodscha, Frau Sophol und Frau Vorng, waren kürzlich auf Einladung des Netzwerkes in Berlin zu Gast. Die Vertreterinnen der Coalition of Cambodian Apparel Workers Democratic Union (C.CAWDU) touren derzeit durch Europa und berichten von den Arbeitsbedingungen in Kambodschas Textilfabriken. Zwölf Stunden am Tag nähen die Arbeiterinnen Kleider für Levi's, Adidas und Co. - unter dürftigen Sicherheitsvorkehrungen und für einen Hungerlohn von 100 Dollar. »Hungerlohn« ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen, denn der Bedarf an Lebensmitteln lässt sich mit diesem Einkommen kaum decken.
Eine Studie ergab, dass Textilarbeiterinnen in Kambodscha häufig unterernährt sind. »Viele Näherinnen erleiden regelmäßig Ohnmachtsanfälle. Die Krankenversorgung müssen sie aus eigener Tasche zahlen, ebenso die Fehlzeiten«, berichtet Sophol. Im vergangenen Winter gingen in Phnom Pen über 50 000 Menschen für eine Erhöhung des Mindestlohnes auf die Straße. 177 Dollar sei keinesfalls eine willkürliche Zahl, meint Sophol. Eine eigens von der Regierung eingesetzte Kommission habe diesen Betrag als Existenzminimum errechnet. Das internationale Gewerkschaftsbündnis »Asia Floor Alliance« hatte für Kambodscha einen notwendigen Mindestlohn von 360 Dollar angegeben.
Eine Minimalforderung, trotzdem stellen sich Regierung und Unternehmer quer. Gegen die Streikenden schickte der Staat Anfang des Jahres eine Spezialeinheit des Militärs, mindestens vier Menschen wurden erschossen, 38 verletzt. »Gewerkschaftsführer stehen unter enormem Druck«, erklärt Vorng. »Viele sind noch immer inhaftiert und werden von den Arbeitgebern bedroht und mit Klagen überzogen.« Für INKOTA trägt die die Regierung die Schuld an den Menschenrechtsverletzungen, aber auch Unternehmer und Auftraggeber leisten Lobbyarbeit, drohen mit Produktionsverlagerung, wenn die Regierung nicht mit harter Hand gegen gewerkschaftliche Aktivitäten vorgeht.
Anfang Oktober sollten Verhandlungen über die Anhebung des Mindestlohnes stattfinden, aber immer wieder auf unbestimmte Zeit vertagt. »Kommt es nicht zu einer Einigung, werden wir wieder auf die Straße gehen. Selbst wenn man wieder auf uns schießt«, so Sophol. Die Modeketten ziehen sich indes achselzuckend aus der Verantwortung. Faire Löhne seien nicht Firmen- sondern Regierungsaufgabe, Konsumenten seien nicht bereit höhere Preise zu bezahlen.
Die Kampagne für saubere Kleidung fordert von den Konzernen, Druck auf die Regierung auszuüben und sich zu verpflichten, Auftragsvergaben an faire Löhne sowie die Umsetzung von Gewerkschafts- und Streikrecht zu binden. »Anfang September haben sich einige Konzerne, darunter H & M und Tschibo, an die kambodschanische Regierung gewandt«, erklärt Berndt Hinzmann von INKOTA. Dieser Brief sei aber nur durch öffentlichen Druck zustande gekommen. Auf ihrer Europatour trafen die Gewerkschafterinnen auch Vertreter der Mode-Multis. Konkrete Zusagen habe es nicht gegeben. Eine Sprecherin von H & M sagte gegenüber »nd«: »Die Forderung nach 177 Euro Mindestlohn kann H & M nicht übernehmen, da die Aushandlung der Lohnhöhe vor Ort zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften stattfinden muss.«
Kambodscha ist kein Einzelfall. Nicht existenzsichernde Löhne, gravierende Sicherheitsmängel und die Unterdrückung von Gewerkschaftern bis hin zu Folter sind in der Textilindustrie in Bangladesch, Indonesien und Pakistan an der Tagesordnung - trotz freiwilliger Selbstverpflichtungen der Unternehmen. »Die nationalen Kämpfe erfahren international große Solidarität«, sagt Hinzmann. Gewerkschaftsdachverbände wie IndustrieAll unterstützten die Textilarbeiterinnen. In der »Asia Floor Alliance« seien außerdem zahlreiche asiatische Gewerkschaften organisiert, die gemeinsam Lohnforderungen und Strategien erarbeiteten.
Wie weit das nun gegründete Bündnis kommt, bleibt abzuwarten. Aus dem entwicklungspolitischen Netzwerk INKOTA hieß es, das Bündnis sei »holprig« gestartet, aber dennoch eine gute Initiative. Nicht nur in der Opposition im Bundestag steht man dem Projekt des Entwicklungsministers jedoch auch skeptisch gegenüber. Bärbel Kofler, entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, forderte gesetzliche Mindeststandards. Der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen, Uwe Kekeritz, nannte das Bündnis »gut gemeint, aber schlecht gemacht«. Niema Movassat, Obmann der Linksfraktion im Entwicklungsausschuss, erklärte: »Profitgier geht weiter vor. Die Achtung der Menschenrechte steht hinten an.«
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