Poroschenko-Lager sieht sich durch Wahl gestärkt

Prowestliche Parteien laut ersten Zahlen klar vorn / Rechtsradikale Kräfte offenbar schwächer ab als befürchtet / Linkenpolitiker Gehrcke: Wahlergebnis vertieft Spaltung der Ukraine

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Berlin. Die als prowestlich bezeichneten Kräfte in der Ukraine sehen sich nach der Parlamentsneuwahl als Gewinner. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von einem Wahlsieg des proeuropäischen Lagers. »Erstmals verfügen die demokratischen Kräfte in der Obersten Rada über die absolute Mehrheit«, meinte er am Sonntagabend in Kiew. Dazu gehören neben dem Block von Präsident Petro Poroschenko noch die neue Volksfront von Regierungschef Arseni Jazenjuk sowie neue Partei Samopomoschtsch (Selbsthilfe) und die Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Diese vier Kräfte kamen nach Prognosen zusammen auf mehr als 60 Prozent der Stimmen.

»Wir haben maximal zwei Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden«, sagte Klitschko. Der Ex-Boxweltmeister war als Spitzenkandidat der Präsidentenpartei Petro-Poroschenko-Block angetreten, will das Parlamentsmandat aber nicht annehmen. Er bleibt Rathaus-Chef in Kiew. Der Chef des Poroschenko-Blocks, Juri Luzenko, sprach ebenfalls von einem Sieg. »Bei den Parteilisten gingen mehr als 90 Prozent an die demokratischen Kräfte«, sagte der Ex-Innenminister. Das laut Prognosen absehbare Ergebnis bestätige ganz deutlich den bisherigen Kurs von Präsident Poroschenko und der Regierung um Arseni Jazenjuk, sagte die Ex-Ministerpräsidentin Timoschenko. Ihre Vaterlandspartei schaffte Prognosen zufolge ebenfalls knapp den Einzug ins Parlament.

Rechtsradikale Kräfte haben den bisher vorliegenden Zahlen zufolge eine geringere Rolle gespielt als befürchtet. Die rechte Partei Swoboda (Freiheit), die sich im Wahlkampf etwa für eine atomare Aufrüstung des Landes ausgesprochen hatte, kam demnach auf 6,3 Prozent der Stimmen. Eine erneute Regierungsbeteiligung der Bewegung um Oleg Tjagnibok sei damit in weite Ferne gerückt, meinten Politologen in Kiew am Sonntagabend. Die Partei schaffte allerdings den Einzug in die Oberste Rada. Der als gewalttätig geltende Rechte Sektor scheiterte den Prognosen zufolge mit vermutlich weniger als zwei Prozent deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde. Der rechtsradikale Flügel der Winterproteste auf dem Maidan spricht sich etwa für liberale Waffengesetze und ein massives militärisches Vorgehen gegen die Aufständischen im Osten des Landes aus. Offenbar erzielte der Rechte Sektor aber mindestens ein Direktmandat.

Der Linkenpolitiker Wolfgang Gehrcke sagte in einer ersten Reaktion, das Wahlergebnis vertiefe »die Spaltung in der Ukraine«. Nur eine auf Ausgleich zwischen den verschiedenen Regionen und Strömungen des Landes zielende Politik könne »eine weitere Spaltung verhindern. Diese aber ist von den Wahlgewinnern nicht zu erwarten«, so der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion. Gehrcke wandte sich auch gegen eine Bewertung des Wahlergebnisses als pro-europäisch. Eine solche Einschätzung sei »im besten Falle blauäugig, denn in erster Linie ist es nationalistisch und antirussisch, so wird auch der Kurs der neuen ukrainischen Regierung sein«.

Mit Blick auf das Abschneiden rechter Kräfte sagte Gehrcke, die extrem rechten Parteien hätten »zwar im Verhältnis zu den Umfragen niedrigere Ergebnisse erzielt, Politiker ihrer politischen Richtung konnten sich aber auf fast allen Wahllisten platzieren oder durch Absprechen Direktmandate gewinnen«. Gehrcke meint, sie hätten auch »großen Einfluss auf den künftigen Weg des Landes. Demokratische und linke Parteien hatten in diesem Wahlkampf kaum eine Chance.«

Die Parlamentswahl in der Ukraine wird aus Sicht des prominenten russischen Außenpolitikers Alexej Puschkow die Krisensituation in der Ex-Sowjetrepublik nicht lösen. »Nichts ändert sich zum Besseren. Die Wahlen führen nicht zu einer neuen Machtkonfiguration, und diese Machthaber können nichts Neues geben - sie haben keine finanziellen Ressourcen«, teilte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma über den Kurznachrichtendienst Twitter am Sonntag mit. »Auf die Ukraine wartet nicht etwa ein Prozess der Integration in Europa, sondern der völlige Verlust ihrer Unabhängigkeit für jene Brotkrümel, die ihr die USA und die EU hinwerfen«, meinte Puschkow. dpa/nd

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