Zwei Tote und 13 Verletzte bei Anschlag mit Auto in Jerusalem

Fahrer von israelischen Sicherheitskräften erschossen / Neue Gewalteskalation auf dem Tempelberg / Amnesty wirft Israel Kriegsverbrechen im jüngsten Gaza-Krieg vor

  • Lesedauer: 5 Min.
In Jerusalem tötet ein Attentäter einen Polizisten, verletzt dreizehzehn Menschen und wird danach erschossen, auf dem Tempelberg und im Osten der Stadt stoßen Palästinenser und israelische Polizei zusammen. Nach dem jüngsten Gaza-Krieg bleibt die Lage im Nahen Osten angespannt.

Jerusalem. Beim Anschlag eines palästinensischen Fahrers mit einem Auto auf Fußgänger wurden am Mittwoch außer dem Angreifer ein Polizist getötet und 13 weitere Menschen verletzt.. Der Fahrer des Wagens sei von Sicherheitskräften erschossen worden, teilte die Polizei mit. Zwei der Schwerverletzten schwebe in Lebensgefahr, sagte der Sprecher der städtischen Rettungsdienste, Saki Heller.

Der Angriff ereignete sich nördlich der Innenstadt unweit der Stelle, an der am 23. Oktober ein ähnliches Attentat verübt wurde. Ein Kleinbus sei »in eine Menschengruppe an einer Straßenbahnhaltestelle gefahren«, sagte Polizeisprecherin Luba Samri. Danach sei der Fahrer »ausgestiegen und hieb mit einer Eisenstange auf die Umstehenden ein«.

Er wurde von Beamten der Grenzpolizei erschossen, die an der Bahnlinie stationiert sind, die entlang der alten Grenze zwischen West- und Ost-Jerusalem verläuft. Bei dem Täter handele es sich um einen arabischen Bewohner der Stadt, hieß es weiter. Nach palästinensischen Angaben kam er aus dem Ost-Jerusalemer Stadtviertel Schuafat.

Der Anschlag des Autofahrers löste später weitere Krawalle in Ost-Jerusalem aus - auch im Flüchtlingslager Schuafat, aus dem der 38-jährige Attentäter stammte. Palästinensischen Quellen zufolge pflegte er vermutlich Verbindungen zur radikalislamischen Hamas-Bewegung. Die Hamas feierte ihn denn auch als »Helden«, dessen Attentat eine »natürliche Antwort« auf Israels Umgang mit dem Tempelberg gewesen sei.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu befand, dass »wir uns in einer anhaltenden Schlacht um Jerusalem befinden«. Er machte für den tödlichen Anschlag neben der Hamas auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas direkt verantwortlich, da dieser den Angehörigen eines von Polizisten erschossenen Palästinensers nach dessen Angriff auf einen jüdischen Ultranationalisten in der vergangenen Woche kondoliert hatte. Der für Innere Sicherheit zuständige Minister Jitzhak Aharonowitsch empfahl, die Wohnung des palästinensischen Autofahrers und anderer Attentäter in ähnlichen Fällen zu »zerstören«.

US-Außenminister John Kerry verurteilte den »terroristischen« Akt des Autofahrers, der die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern nur weiter anheize. Er rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf, um eine Entschärfung des Konflikts zu ermöglichen.

Besuch jüdischer Ultranationalisten auf dem Tempelberg löst Proteste aus

Unterdessen ist es am Mittwoch auch auf dem Jerusalemer Tempelberg erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen israelischer Polizei und Palästinensern gekommen. Anlass war der demonstrative Besuch rechtsradikaler jüdischer Splittergruppen auf dem den Muslimen heiligen Felsplateau. Polizisten drangen laut Polizei dabei in die Al-Aksa-Moschee vor. Die Unruhen weiteten sich im Laufe des Vormittags auf Teile der umliegenden Altstadt aus, wie Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Insgesamt sind nach Angaben des Roten Halbmonds 39 Personen verletzt worden, als die Polizei mit Hartgummigeschossen, Blendgranaten und Tränengas einschritt.

Eine Woche nach einem versuchten Mordanschlag auf einen ihrer Anführer hatte die aus israelischen Ultranationalisten und religiösen Eiferern gebildete Tempelbergbewegung zu einer gemeinsamen Begehung des Tempelbergs aufgerufen. Palästinensische Jugendliche, die die Nacht in der Al-Aksa-Moschee auf dem Gelände verbracht hatten, versuchten, den Zutritt zu verhindern. Als das Marokkanertor, der einzige Besucherzugang für Nichtmuslime geöffnet wurde, »bewarfen dutzende Vermummte die Sicherheitskräfte mit Steinen und Knallkörpern. Diese drängten die Demonstranten zurück in die Moschee«, berichtete Polizeisprecherin Luba Samri.

Danach seien Polizisten »einige Meter« in die Moschee eingedrungen, um die blockierten Portale zu lösen und zu schließen. Ein kurzzeitiges Vordringen der Ordnungshüter in die Moschee komme sehr selten vor, sei aber nicht das erste Mal passiert, versicherte Samri. Das nahe der Moschee in der Südwestecke des Plateaus gelegene Besuchertor wurde anschließend geöffnet. Etwa dreihundert nichtmuslimische Besucher seien daraufhin auf den Berg gelassen worden. Darunter waren mehrere Dutzend rechtsgerichtete Aktivisten, die gegen das Attentat auf ihren Sprecher Jehuda Glick am vergangenen Mittwoch protestieren wollten.

Auch in der Jerusalemer Altstadt kam es zu Ausschreitungen, wie ein AFP-Korrespondent berichtete. Die Polizei setzte Blendgranaten und Tränengas ein. Am Löwentor, einem der acht Zugänge zur Altstadt, gingen die Einsatzkräfte gegen eine Menschenansammlung vor, in der nach Beobachtung von AFP-Reportern auch zahlreiche ältere Frauen und Schulkinder waren.

Aus Protest gegen die Gewalteskalation am Tempelberg berief Jordanien am Mittwoch seinen Botschafter aus Israel zurück und kündigte an, beim UN-Sicherheitsrat Beschwerde gegen »wiederholte israelische Angriffe auf muslimische heilige Stätten« einzulegen. Jordaniens oppositionelle Muslimbruderschaft rief für Freitag zu Massenprotesten gegen Israels Umgang mit dem Tempelberg auf.

Das Plateau mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte des Islams nach Mekka und Medina. Die Muslime nennen es »Das edle Heiligtum«. Das Judentum verehrt es als Tempelberg und seinen wichtigsten heiligen Ort. Die Klagemauer, ein unter König Herodes (um 73 bis vier v. Chr.) errichteter hoher Stützwall an der Westseite, dient gläubigen Juden heute als zentrale Gebetsstätte, denn sie und andere nicht muslimische Besucher dürfen den Tempelberg zwar betreten, aber dort nicht beten.

Seit Wochen kommt es dort und in der umliegenden Altstadt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Vergangenen Donnerstag war das Gelände erstmals seit vielen Jahren komplett abgeriegelt worden, nachdem Glick angeschossen und der mutmaßliche palästinensische Schütze wenige Stunden darauf bei einem Festnahmeversuch von der Polizei getötet worden war. Die Unruhen nähren Befürchtungen, es könne zu einer neuen Intifada kommen.

Amnesty International wirft Israel Kriegsverbrechen vor

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft Israel vor, im Gaza-Konflikt Kriegsverbrechen begangen zu haben. Israel habe in den untersuchten Fällen »schamlos das Kriegsvölkerrecht missachtet«, erklärte Philip Luther, Direktor des Nahost- und Nordafrika-Programms bei Amnesty International, in einer Mitteilung.

Für einen Bericht wurden acht Fälle untersucht, in denen Häuser von Palästinensern in Gaza angegriffen wurden. Bei den Angriffen seien mindestens 111 Personen, davon mindestens 104 Zivilisten, getötet worden, schreibt die Organisation.

In einigen Fällen seien zwar mögliche militärische Ziele ausgemacht worden. Doch die verursachte Zerstörung stehe nicht im Verhältnis zum militärischen Vorteil. In allen untersuchten Fällen habe die israelische Armee keine vorherigen Warnungen ausgegeben. Die israelischen Streitkräfte wollten sich im Laufe des Mittwochs zu den Vorwürfen äußern.

Während des 50-tägigen Gaza-Krieges im Sommer waren mehr als 2100 Palästinenser und mehr als 70 Israelis getötet worden. Militante Palästinenser hatten mehr als 4500 Raketen auf Israel abgefeuert. Die israelische Armee griff mehr als 5000 Ziele in dem Küstenstreifen am Mittelmeer an. nd/Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -