Wirtschaftsminister auf Kohle-Kuschelkurs
Sigmar Gabriel gegen Ausstieg aus klimaschädlicher Stromerzeugung / Umweltministerin Hendricks schweigt
Als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Dienstag auf einem Kongress der Deutschen Energieagentur in Berlin zu seiner Rede anhob, wurde er von Umweltschützern unfreundlich begrüßt: »Herr Gabriel: Klimaschutz braucht Kohleausstieg!«, forderten Greenpeace-Aktivisten auf Schildern. »Der Kohlekurs des Wirtschaftsministers ist eine klimapolitische Amokfahrt«, erläuterte Niklas Schinerl, Energieexperte von Greenpeace, die Aktion. »Steuert Gabriel jetzt nicht um, verfehlt Deutschland sein Klimaziel meilenweit.«
Was die Umweltverbände erzürnte, war ein kurz zuvor bekannt gewordenes Strategiepapier des Ministers, aus dem die Nachrichtenagentur dpa Folgendes zitierte: »Man kann nicht zeitgleich aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigen. Wer das will, sorgt für explodierende Stromkosten, Versorgungsunsicherheit und die Abwanderung großer Teile der deutschen Industrie.« Gabriel erklärt es in dem Papier für töricht, bei der Energiewende erneuerbare Energien und konventionelle Kraftwerke gegeneinander auszuspielen.
Damit steuert der kleine Koalitionspartner in Berlin auf einen internen Streit zu: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (ebenfalls SPD) möchte bekanntlich als Teil eines für Anfang Dezember angekündigten Klimaaktionsprogrammes einige alte Kohlemeiler abschalten. Der Grund: Deutschland droht wegen der zunehmenden Kohleverstromung sein Ziel zu verfehlen, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen werden laut Hendricks nicht mehr als 33 bis 35 Prozent zu schaffen sein. Angesichts der laufenden Verhandlungen für ein weltweites Klimaschutzabkommen wäre ein Versagen der deutschen Regierung auch auf internationaler Ebene äußerst peinlich.
Mittlerweile hat sich Hendricks’ Parteichef Gabriel klar gegen die Forderung positioniert, einige alte Dreckschleudern stillzulegen: Dadurch würde in Europa nicht eine Tonne Kohlendioxid für den Klimaschutz eingespart, weil die dafür benötigten Emissionszertifikate einfach zu einem anderen Kraftwerk wanderten, schreibt er in seinem Papier. Besser wäre es, mehr Verschmutzungsrechte aus dem Markt zu nehmen, um den europäischen Emissionshandel zu retten und die Kohleverstromung zu verteuern. Dann werde es der Markt schon regeln.
Das sehen Umweltverbände, aber auch die LINKE und die Grünen anders - sie fordern seit Langem ein Kohleausstiegsgesetz. Für die klimapolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, sind Gabriels Aussagen »nichts Anderes als Panikmache«. Der Grünen-Politiker Oliver Krischer forderte, der Wirtschaftsminister müsse den Strukturwandel in der Kohlebranche einleiten und organisieren.
Solche Forderungen erhalten mit dem absehbaren Rückzug des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall aus der Lausitzer Braunkohle derzeit starken Rückenwind. Auch hier stemmt sich Sigmar Gabriel dagegen: Alle Vattenfall-Aktivitäten in Deutschland sollten in einer Hand bleiben, meint der Wirtschaftsminister. Der SPD-Chef sicherte dies auch den Vattenfall-Betriebsräten bei einem Treffen am Dienstag zu. Und will es demnächst auch dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven bei einem Besuch in Stockholm verklickern. Kolumne Seite 4
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