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»Prominente Grüne reden wie Pressesprecher der Kiewer Regierung«

Der Friedensaktivist Uli Cremer ist unzufrieden mit der Haltung seiner Parteiführung im Ukraine-Konflikt. Er will die Sanktionen beenden und Russland einbinden

  • Lesedauer: 4 Min.

Grünen-Chef Cem Özdemir hat bei der Eröffnungsrede des Hamburger Parteitags betont, dass er wie einige andere Grüne aus Solidarität eine kleine Ukraine-Fahne als Abzeichen trägt. Bei Ihnen kann ich so etwas nicht erkennen.
Ich muss zugeben, dass ich so einen Anstecker nicht besitze. Cem Özdemir und andere Prominente der Grünen wollen aber offenbar die Rolle des Pressesprechers der Kiewer Regierung einnehmen. Dazu dürfte auch ein solches Symbol gehören.

Sie haben zur Ukraine einen Antrag vorgelegt, der sich von dem der Grünen-Führung unterscheidet. Eine Gemeinsamkeit ist aber, dass beide die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation als rechtswidrig bezeichnen. Warum lehnen Sie die Sanktionen, die auch Reaktion auf die Krim-Annexion sind, ab?
Das Blitzreferendum auf der Krim ist der Sache nicht gerecht geworden. Für so etwas braucht man Zeit. Das dortige Vorgehen kann man nicht akzeptieren. Das Problem bei Wirtschaftssanktionen ist aber, dass sie nur gegen schwache, aber nicht gegen starke Staaten funktionieren. Zwar nimmt die russische Wirtschaft durch die Sanktionen Schaden, aber zugleich auch die Wirtschaften der boykottierenden Staaten. Es wäre genau so irrsinnig gewesen, wenn man 2003 gegen die Bush-Regierung der USA Sanktionen verhängt hätte, nachdem sie mit dem Irak-Krieg das Völkerrecht gebrochen hatte.

Uli Cremer

Uli Cremer ist Sprecher der Grünen Friedensinitiative. Bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Hamburg stellte sich der Außenpolitiker mit einem Antrag zur Ukraine-Politik, der von den Delegierten abgelehnt wurde, gegen die eigene Parteispitze. Mit ihm sprach nd-Redakteur Aert van Riel.

Was sollte man stattdessen gegen einen Völkerrechtsbruch machen?
Man darf den Dialog nicht abreißen lassen. Am besten wäre es, wenn man die Sanktionen zurücknehmen würde. Denn diese haben zu einer Verhärtung auf beiden Seiten geführt. Moskau ist nicht an allem schuld. Auch der Westen hat an der Eskalationsschraube gedreht. Man hat in der Krim-Frage keine politischen Mittel zur Hand, außer, dass man eine Anerkennung verweigert.

Die Grünen-Spitze will eine Beitrittsperspektive der Ukraine zur EU. Sie schreiben, das Land solle neutral bleiben. Schließt das eine EU-Mitgliedschaft aus?
Man muss die politischen Schritte, die man als Land will, auch mit seinen Nachbarstaaten absprechen. Es gibt zumindest kein Recht auf Autismus. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn die Ukraine eines Tages in die EU eintreten sollte, aber das muss mit der Nachbarschaft geregelt werden. Die EU ist keine reine Wirtschaftsorganisation, sondern auch ein politischer Verbund. Zudem ist sie zunehmend ein Militärpakt geworden. In dem Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine gibt es auch einen Militärteil, wo ich noch nicht davon gehört habe, dass er nicht umgesetzt werden soll. Die Ukraine würde dann in einen Militärpakt eintreten. Das muss man mit Moskau aushandeln.

In Ihrem Antrag wird kritisiert, dass die deutschen Medien Russland dämonisieren. Ist das auch ein Vorwurf, den man den Grünen machen kann?
Es gibt Personen, die Einreiseverbote in Russland haben. Das hat sicherlich auch mit ihren Äußerungen über das Land zu tun. Wir haben Rebecca Harms in diesem Zusammenhang namentlich erwähnt. Wir finden es aber nicht gut, dass es diese Einreiseverbote gibt. Dasselbe gilt für den Westen. Auch russische Journalisten sollten in die Länder gelassen werden. Ich denke, dass die Demokratie im Westen stark genug ist, um russische Propaganda auszuhalten.

Ist die Kritik von vielen prominenten Grünen an Russland nicht tatsächlich berechtigt angesichts des dortigen repressiven Umgangs mit Oppositionellen und Homosexuellen?
Russland ist nicht das Land, wo ich gerne leben würde. Der Staat ist immer autoritärer geworden. Aber ich denke, dass der neue Kalte Krieg, der nun forciert wird, die bisherigen Positionen weiter verhärtet. Zu einer demokratischen Entwicklung in Russland trägt dieser sicherlich nicht bei.

Sie vertreten mit der Forderung, Russland einzubinden und die Sanktionen zu beenden, eine Minderheitenmeinung. Wie wollen Sie Parteimitglieder überzeugen?
Wir haben sehr viel Resonanz erfahren. Unseren Antrag haben in recht kurzer Zeit 60 Menschen unterschrieben. Es sind sehr viele Menschen in der Partei unzufrieden damit, was zu dem Thema etwa von der Heinrich-Böll-Stiftung oder von Rebecca Harms geäußert wird.

Worüber sind diese Parteimitglieder denn unzufrieden?
Dass nicht genug auf die Verbesserung oder Wiederherstellung eines vernünftigen Verhältnisses zu Russland geachtet wird. Es scheint einigen in der Parteiführung auch egal zu sein, ob man diesen Kalten Krieg eskaliert oder nicht. Das macht die Leute besorgt. Zudem stimmt vieles nicht, was erzählt wird. Der sogenannte Euro-Maidan in der Ukraine hat sich in einen Nationalismus-Maidan verwandelt. Es wurden in der Kiewer Regierung Ministerposten an Rechtsradikale vergeben. Da sehen auch viele Grüne in Deutschland, die hier gegen Neonazis oder die AfD auf die Straße gehen, große Widersprüche. Im Antrag des Vorstands steht nun, dass die Rechtsradikalen in der Ukraine ganz klein geworden seien. Das sehe ich nicht so. Man muss nicht nur auf die Swoboda-Partei schauen, die nun viele Stimmen verloren hat, sondern auch auf die rechten Neugründungen, wo viele Führer rechtsradikaler Milizen, die im Osten des Landes gegen die Separatisten kämpfen, auf den Listen vertreten waren. Der völkische Nationalismus ist dort zum Teil in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das ist ein Riesenproblem.

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