Wasser ernten mit den Berggeistern
Wie sich Kleinbauern in den peruanischen Anden an den Klimawandel anzupassen versuchen
»Die Wissenschaftler sagen, es liegt daran, dass die Erde immer wärmer wird. Ich glaube, es liegt daran, dass wir uns mit der Bibel in der Hand von den Apus, unseren Geistern, abgewendet haben«, sagt Marcos Mejia Vilca. Dann nimmt er getrocknete Koka-Blätter und frische Nelken und lässt sie vorsichtig in ein Wasserloch gleiten. Die Opfergabe in 4300 Metern Höhe soll den Apu ihres Wasserrückhaltebeckens milde stimmen, so dass er den Bauern auch in Zukunft Wasser für ihre kargen Weiden schickt. Vilcas Dorf liegt in der südperuanischen Andenregion Ayacucho, in der drei Viertel der Bevölkerung Indigene sind.
Peru, Gastgeber des diesjährigen UN-Klimagipfels, ist eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder. Umweltschützer hoffen, dass sich die 194 Vertragsstaaten in Lima auf die Grundzüge eines neuen globalen Abkommens einigen, das im nächsten Jahr in Paris beschlossen werden soll.
Marcos Mejia Vilca will nicht so lange warten. Der Mann, dem die Apus im Traum erschienen sind, spricht lieber direkt mit den Geistern. »Früher war die Hitze nicht so heiß und die Kälte nicht so kalt. Es regnete mehr, wir wussten genau, wann die Wolken Wasser bringen, und der Hagel zerstörte nicht unsere Ernten. Eis und Schnee auf den Bergen speisten die Bäche. Aber heute ist das Wetter verrückt. Es wird immer schwieriger, hier zu überleben«, sagt der Mann, der sich noch an den steten Wechsel von Regen- und Trockenzeiten erinnern kann.
Der »maestro del agua« (Meister des Wassers) sagt, er sei 60 Jahre alt, auch wenn sein von der grimmigen Kälte und der erbarmungslosen Sonne gegerbtes Gesicht auch das eines Achtzigjährigen sein könnte. Vilca hat nichts anderes gelernt, als zu den Apus zu sprechen, karge Felder an steilen Hängen zu bestellen sowie Alpakas, Lamas, Schafe und Ziegen auf den spärlich bewachsenen Gebirgswiesen zu hüten. Um trotz des Klimawandels in den Anden überleben zu können, half die von der Deutschen Welthungerhilfe unterstütze lokale Hilfsorganisation ABA ihm und seinem Dorf, ein »Tapacchocha« zu bauen. Das Wort aus der Sprache der indigen Andenbewohner, Quechua, bedeutet »Nest des Wassers«. Die rund 70 von APA errichteten Wasserrückhaltebecken helfen jetzt, die vom »verrückten Wetter« verdörrten Berghänge wieder in saftige Weiden und fruchtbare Äcker zu verwandeln, auf denen das Andengetreide Quinoa, die aus dem Hochgebirge stammenden Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und Zwiebeln wachsen. Wer in der dünnen Luft einen Gipfel besteigt, sieht, dass die Hänge, die vor einigen Jahren noch braun waren, jetzt unterhalb der silbrig glänzenden Wasseraugen wieder grün sind.
Die Kleinbauern in den peruanischen Anden haben den Klimawandel nicht verursacht und können ihn nicht aufhalten, doch sie leiden besonders stark unter ihm. Einige haben im Radio gehört, dass die Fabriken in den großen Ländern das Wetter »verrückt gemacht haben«. Manche glauben, dass die vielen Erdbeben in den Anden die Erdachse und damit das Wetter aus dem Lot gebracht haben. Andere vermuten, sie seien mitverantwortlich dafür, dass mittlerweile weder der Kalender noch die Blüte der Kakteen anzeigen, wann es Zeit ist, die Saat auszubringen.
»Wahrscheinlich straft Gott die Menschen dafür, dass sie sich gegenseitig umgebracht haben«, vermutet Máxima Fernandes. Die 47-Jährige kann sich noch gut daran erinnern, dass zwischen 1980 und 1995 die maoistische Terrororganisation Leuchtender Pfad und die Regierung Massaker unter den Anden-Bauern anrichteten. Rund 70 000 Menschen bezahlten den Bürgerkrieg mit ihrem Leben. In der armen Provinz Ayacucho, in der auch Máxima ihre Felder bestellt, gab es die meisten Opfer. »Hinzu kam, dass wir mit chemischem Dünger und Gift das Gleichgewicht der Natur durcheinander gebracht haben«, glaubt die Mutter von sieben Kindern. Etwa zu der Zeit, als ihre Tochter Mariluz geboren wurde, geriet das Wetter aus dem Takt, erinnert sich die Bäuerin. Mariluz ist heute 23 Jahre alt. Ob es die Strafe Gottes oder der vom Menschen verursachte Klimawandel ist - die Folgen sind fatal: weniger Niederschlag und immer extremeres Wetter. Mit der Klimaänderung wurde die Landwirtschaft in über 3500 Metern Höhe zu einem stetigen Kampf ums Überleben. Und von der Regierung in der fernen Hauptstadt Lima gab es kaum Unterstützung. Máxima drückt es so aus: »Wir waren vergessene Leute, und das Leben war keine Rose.«
Doch mit der Rückbesinnung auf jahrhundertealte, während des Bürgerkriegs verlorengegangene Weisheiten hilft die Organisation ABA den Bauern mittlerweile bei der Anpassung an den Klimawandel. Dafür ist sie kürzlich vom peruanischen Umweltministerium ausgezeichnet worden. Zu den wiederentdeckten Techniken gehört das »Säen und Ernten von Wasser«. Schon die Inkas verstanden Wasser als lebendige Materie, die man hervorlocken kann. Mit »madres del agua« (Mütter des Wassers) genannten Pflanzen, die das Wasser mit ihren langen, schwammartigen Wurzeln an die Oberfläche ziehen sollen, mit Terrassierungen, alten Saaten, ausgeklügelten Bewässerungstechniken, natürlichem Dünger und ABA-Unterstützung gelingt es Máxima Fernandes mittlerweile wieder, sich und ihre Kinder von ihren Feldern zu ernähren.
Doch die seit 20 Jahren aktive Hilfsorganisation kann nicht überall sein. In einem kleinen Dorf drei Geländewagenstunden nordöstlich der Touristenstadt Cusco ist sie nicht. Ohne die Unterstützung der Landwirtschaftsexperten versucht hier Florencio Tunquipa Casilla, seinem eineinhalb Hektar großen Feld auf 3800 Meter Höhe genug für sich und seine sechs Kinder abzuringen. Vor neun Monaten verlor er seine gesamte Kartoffelernte durch scharfen Frost. Auch Casillas Vater und Großvater waren Bergbauern. Doch so eine eisige Kälte vor der Erntezeit haben sie nie erlebt. »Früher war es einfacher, hier zu leben. Heute macht das Wetter es fast unmöglich«, berichtet der verzweifelte Bauer und deutet auf ein eingestürztes Lehmhaus. Casilla kannte die Leute, die darin lebten. Weil die Ernten immer schlechter ausfielen, flohen sie vor einigen Jahren in die Stadt. Auch Casilla versuchte, sich dort durchzuschlagen. Doch in Perus Städten gibt es bereits abertausende Klimaflüchtlinge. Da der Bauer kaum Arbeit fand, kehrte er nach acht Jahren auf sein inzwischen noch stärker ausgedörrtes Feld zurück.
In Peru produzieren Kleinbauern wie Casilla 80 Prozent der im Land konsumierten Nahrung. Wenn sie durch den Klimawandel immer weniger ernten, zerstört dies nicht nur ihre Existenz, sondern könnte langfristig auch die Ernährung der 30 Millionen Peruaner gefährden. Noch befinden sich 70 Prozent aller tropischen Gletscher in Peru, doch die steigenden Temperaturen lassen sie immer schneller abschmelzen. Die Wasserversorgung des wüstenartigen Küstenstreifens, in dem fast zwei Drittel der Bevölkerung leben, wird so immer schwieriger. Zudem bedroht der Temperaturanstieg den Reichtum an Pflanzen und Tieren und macht viele Menschen krank. »Weil es immer weniger Wasser gibt, müssen wir oft dehydrierte und unter- oder mangelernährte Kinder behandeln«, sagt Luz Malpartida, Gesundheitsreferentin in der Andenprovinz Paucartambo.
Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal, ein ehemaliger Umweltaktivist, versucht diesen gefährlichen Entwicklungen entgegenzuwirken, doch dass die Wirtschaft in den letzten Jahren ins Straucheln geraten ist, macht seinen Job immer schwieriger. Der jahrelange Boom davor basierte vor allem auf der Ausbeutung von Bodenschätzen. Der schwachen Konjunktur versucht die Regierung jetzt mit der Absenkung von Umweltstandards im Bergbau entgegenzutreten. Wirtschaftsschutz steht in Peru fast immer vor Umwelt- und Klimaschutz. Viele vermuten, dass der frustrierte Minister deshalb nach der Konferenz in Lima zurücktreten wird.
Zuvor wollen jedoch über 80 im Netzwerk »Grupo Perú COP 20« zusammengeschlossene Gewerkschafts- verbände, Umwelt- und Bauernorganisationen, kirchliche und indigene Gruppen die größte Konferenz in der Geschichte Perus nutzen, um Druck zu machen. Die »Grupo« fordert, dass sich alle Teilnehmerstaaten verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen ab 2015 deutlich zu senken und die Industriestaaten als Hauptverursacher des Klimawandels ausreichende Mittel für Anpassungsprojekte in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen.
Doch Juan Vaccari Chávez, Direktor des peruanischen Instituts für Entwicklung und Umwelt, denkt pessimistisch darüber, ob bei der Mammutveranstaltung ein Durchbruch erzielt werden kann. »In Peru sind der Staat und die Regierung schwach und die Unternehmen stark - und viele Unternehmen wollen eine Ausbeutung der Natur ohne Rücksicht auf die Umwelt«, sagt er. Selbst wenn am Ende der Konferenz auf dem Papier einige Erfolge stehen, bleibt Chávez skeptisch: »Von vorangegangen Klimakonferenzen wissen wir, dass ein großer Unterschied besteht zwischen dem, was beschlossen, und dem, was umgesetzt wird.«
Geisterbeschwörer Marcos Mejia Vilca weiß nichts von diesen Problemen. Doch auch er verlässt sich lieber auf seine Apus und die Wasserrückhaltebecken als auf Verträge und Lippenbekenntnisse.
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