Tödlicher Fehler im Genom

Erst aufgrund einer Mutation wurden Flöhe zu Überträgern der bis heute gefürchteten Pest. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Pest ist eine Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Yersinia pestis verursacht wird und in einigen Teilen der Erde bis heute auftritt. Derzeit ist davon die Insel Madagaskar betroffen, wo sich seit August über 130 Menschen mit dem Erreger infiziert haben. Knapp 50 sind daran bereits gestorben. Nach Mitteilung der madagassischen Gesundheitsbehörden handelt es sich in fast allen Fällen um die sogenannte Beulenpest, die durch den Biss von Flöhen übertragen wird. Bei einer frühen Diagnose lässt sich diese Krankheit allerdings gut mit Antibiotika behandeln.

Das war früher anders. Bekanntlich fielen der Pest zwischen 1347 und 1352 in Europa rund 25 Millionen Menschen zum Opfer. Aber auch die sogenannte Justinianische Pest, die im 6. Jahrhundert im Mittelmeerraum wütete, ging auf einen Erregerstamm von Yersinia pestis zurück, der im 8. Jahrhundert ausstarb. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich in Ostasien erneut eine pathogene Variante, die zum großen Pestausbruch des Mittelalters führte. Eine Frage indes blieb bisher unbeantwortet: Wann ging zum ersten Mal von einem Pesterreger eine tödliche Gefahr für Menschen aus?

Einer neuen Untersuchung zufolge war dies vor höchstens 6400 Jahren der Fall. Davor gab es keine Pesterreger. Diese gingen vielmehr aus dem Bakterium Yersinia pseudotuberculosis hervor, das bis heute Nage- und Haustiere befällt. Zwar können sich auch Menschen damit infizieren, etwa durch den Verzehr von kontaminiertem Schweinefleisch. Doch die danach bisweilen auftretende Darmentzündung klingt in der Regel ohne Komplikationen wieder ab.

Erwartungsgemäß weisen Yersinia pestis und Yersinia pseudotuberculosis in ihrem Erbgut viele Ähnlichkeiten auf. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Werden Flöhe von dem Tuberkulosebakterium befallen, sterben danach viele. Dagegen bleiben mit Yersinia pestis infizierte Flöhe am Leben. Das war die entscheidende Voraussetzung für die weltweite Ausbreitung der Pest. Denn das Zwischenglied bei der Übertragung der Krankheit von der Ratte auf den Menschen ist der etwa 1,4 bis 2,7 Millimeter große Rattenfloh (Xenopsylla cheopis). Er saugt die tödlichen Erreger aus dem Blut der Ratten und stößt sie beim Biss eines Menschen wieder aus.

Was aber macht den Rattenfloh immun gegen den Pesterreger? Iman Chouikha und Joseph Hinnebusch vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Hamilton (USA) sind dieser Frage nachgegangen. Ihr Augenmerk richtete sich dabei auf ein Gen namens »ureD«, das für das Enzym Urease codiert, mit welchem das Bakterium Yersinia pseudotuberculosis Harnstoff zerlegt. Beim Pesterreger ist dieses Gen mutiert. Und zwar so, dass das Bakterium die für Flöhe giftige Urease nicht mehr produziert, wie die Forscher in den »Proceedings« der Nationalen Wissenschaftsakademie der USA (PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1413209111) mitteilen.

In den hoch gesicherten Rocky Mountain Laboratories konnten Chouikha und Hinnebusch experimentell bekräftigen, dass die Verbreitung der Pest maßgeblich von der erwähnten ureD-Mutation ausging. Zu diesem Zweck schalteten sie das Urease-Gen in Yersinia pseudotuberculosis aus und infizierten Flöhe mit den so veränderten Keimen. Ergebnis: Die Flöhe überlebten. Bauten sie dagegen ein unmutiertes Urease-Gen in das Erbgut von Yersinia pestis ein, ging ein großer Teil der damit infizierten Flöhe zugrunde.

Im Zuge ihrer Evolution gelang es den Pestbakterien, die Physiologie des Rattenflohs »geschickt« für ihre Bedürfnisse zu nutzen. Das heißt: Sie besiedelten den Vormagen (Proventriculus) des Floh-Verdauungstraktes, der Speiseröhre und Mitteldarm verbindet, und vermehrten sich dort als Biofilm. Dadurch wurde der Verdauungstrakt mit verklumpten Bakterien verstopft, so dass der Floh beim Stich eines Säugetiers nicht mehr genug Blut aufnehmen konnte. Er musste seine Wirte folglich öfter stechen oder länger Blut saugen, um das Defizit wettzumachen. Damit wuchs naturgemäß die Gefahr, dass der Pesterreger auch auf Menschen übersprang - der Weg war frei für die Ausbreitung einer der verheerendsten Seuchen der Geschichte.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.