Druck auf Netanjahu zur Kooperation
Israels Militärstaatsanwaltschaft lässt Einsätze der Armee während des Gaza-Krieges strafrechtlich untersuchen
Ein Team der UNO hält sich derzeit im Gaza-Streifen auf. Sein Auftrag: »Die Ermittler sollen herausfinden, wie Waffen palästinensischer Kampfverbände auf das Gelände von Schulen der Vereinten Nationen gelangen konnten und warum diese Einrichtungen vom israelischen Militär angegriffen wurden«, sagte Martin Dubois, ein Sprecher der Vereinten Nationen in New York. Man nehme diese Vorfälle sehr ernst; Neutralität sei unbedingt wichtig, damit die UNO und ihre Unterorganisationen ihre Aufgaben wahrnehmen können. Ermittelt werde in alle Richtungen, auch gegen eigenes Personal.
Während des 50-tägigen GazaKrieges im Sommer hatten diese Einrichtungen die einzige einigermaßen sichere Zufluchtstätte im Gaza-Streifen geboten; Tausende waren dort untergekommen. Sehr viele Menschen mehr waren zudem von den humanitären Hilfen des UNO-Flüchtlingshilfswerks abhängig und sind es zum Teil immer noch. Denn der Wiederaufbau des Gaza-Streifens kommt nur sehr mühsam in Gang.
Mit schwedischer Unterstützung wurde in der vergangenen Woche erstmals damit begonnen, Trümmer mit schwerem Gerät bei Seite zu räumen - »ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber immerhin ein Tropfen«, sagt Richard Serry, UNO-Koordinator für den Wiederaufbau im Gaza-Streifen. Erschwert werden die Arbeiten auch durch den nun bevorstehenden Winter. Die Mitglieder der Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrates unter der Leitung des kanadischen Juraprofessors William Schabas sind derweil nach Angaben der Vereinten Nationen in ihre Heimatländer zurückgereist. Ihnen war Mitte November von Israels Außenministerium die Einreisegenehmigung verweigert worden, nachdem sie gut eine Woche lang in Jordaniens Hauptstadt Amman gewartet hatten. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wirft vor allem Schabas vor, er sei gegen Israel voreingenommen. Die Zukunft der Untersuchung ist nun ungewiss; hinter den Kulissen verhandeln beide Seiten.
Der Druck auf Netanjahu, mit der Kommission zu kooperieren, ist auch in Israels Regierungsapparat groß. Nun, nach dem Zusammenbruch der Koalition, habe die Regierung kaum die Kapazitäten zu reagieren, falls das Team trotzdem einen Bericht vorlegen sollte, schrieben hochrangige Mitarbeiter des Außenministeriums am Donnerstag in einem Memorandum.
Für Aufregung in der amtierenden Regierung sorgte auch, dass die Militärstaatsanwaltschaft am Wochenende das tatsächliche Ausmaß ihrer Ermittlungen wegen möglicher Straftaten durch Soldaten während des Gaza-Krieges bekanntgab. Dass ermittelt wird, ist bereits seit September bekannt. Doch bisher war von nur fünf Fällen gesprochen worden, in denen die Ankläger einen ausreichenden Anfangsverdacht sah. Mittlerweile sind es insgesamt sechs Fälle.
Dabei sieht das Verfahren so aus: Die Militärpolizei geht zunächst Hinweisen nach; während dieser Ermittlungen sind die Zielpersonen als »Verdächtige« klassifiziert. Offiziell betroffen sind 128 Personen, gegen die 756 sogenannte »Vorgänge«, Vergehen, untersucht werden. Sieht die Militärstaatsanwaltschaft dann einen ausreichenden Verdacht, wird aus dem Verdächtigen ein »Beschuldigter«, was in aller Regel ein guter Indikator dafür ist, dass es zur Anklage kommen wird.
Unter den 13 Fällen befinden sich auch die am meisten publizierten Vorfälle des Krieges: Vier Jugendliche, die getötet wurden, als sie am Strand von Gaza von See aus beschossen wurden; eine Frau, die mit Genehmigung des Militärs unterwegs war und dennoch erschossen wurde. sowie der Fall eines Sanitäters, der neben seinem Krankenwagen angegriffen wurde.
Mitarbeiter der Militärstaatsanwaltschaft sagen, man wolle mit der Veröffentlichung auch deutlich machen, dass man Fehlverhalten keinesfalls dulde. Schon damals, während des Krieges, hatte man unter Militärstaatsanwälten mit großem Missmut darüber gesprochen, dass die Prüfung der Angriffsziele von der Regierung immer wieder als Beleg für die »hohen Standards« ihrer Kriegsführung genannt wurde. »Wir können aus der Ferne nur selten einschätzen, was genau vor Ort passiert«, sagte damals einer der Staatsanwälte.
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