Ein Leben wider den rechten Ungeist

Deutschland sowie der Kampf gegen das geistige Nazi-Erbe waren zeitlebens die wichtigsten Themen des Holocaust-Überlebenden Ralph Giordano

  • Holger Spierig
  • Lesedauer: 4 Min.
Er war einer der profiliertesten Mahner gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Deutschland. Am Mittwoch starb der streitbare Publizist und unerschrockene Mahner im Alter von 91 Jahren in Köln.

Köln. Der Nachwelt wolle er als Aufklärer und Humanist in Erinnerung bleiben, hatte Ralph Giordano einmal gesagt. Am frühen Mittwochmorgen starb der Journalist und Publizist im Alter von 91 Jahren in einem Kölner Krankenhaus. Dort wurde er laut Medienberichten wegen eines Oberschenkelhalsbruchs behandelt, den er sich bei einen Sturz in seiner Wohnung zugezogen hatte. Von den Folgen der Verletzung und einer Operation erholte er sich nicht mehr.

»Als glaubwürdiger Mahner verkörperte er das Gewissen einer ganzen Generation«, würdigte ihn der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD). Der Mann mit der weißen vollen Mähne war so etwas wie ein lebendes Mahnmal gegen die Gefahr von rechtsaußen. Dass Rechtsextremisten des NSU jahrelang unbehelligt eine blutige Spur des Terrors durch Deutschland ziehen konnten, zeigt denn auch, wie aktuell seine Warnungen vor rechter Gewalt waren.

Die Beschäftigung mit Deutschland nach dem Nationalsozialismus blieb für Giordano nicht das einzige, wohl aber das wichtigste Thema. Für seine besonderen Verdienste um die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit erhielt er 1990 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 2009 das Große Bundesverdienstkreuz. Sein Schlüsselerlebnis sei die »Befreiung von der Angst vor dem jederzeit möglichen Gewalttod, weil ich eine jüdische Mutter hatte«, schrieb Giordano in seiner Biografie »Erinnerungen eines Davongekommenen«.

In seinem Kampf gegen Fremdenhass und Rechtsextremismus spitzte er gern zu und scheute dabei auch vor Kontroversen nicht zurück. Einfach hat es der Nazi-Gegner und Antikommunist zu Lebzeiten weder seinen Feinden noch seinen Sympathisanten gemacht. »Die Humanitas ist unteilbar«, war das Credo Giordanos. Diese Erkenntnis ließ ihn in den 50er Jahren mit der DDR und der KPD brechen. Später empörte er Linke und Friedensbewegte mit seiner Kritik an ihren Protesten gegen den Irakkrieg der US-Regierung.

Giordano wurde am 20. März 1923 als Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin und eines Musikers mit sizilianischen Vorfahren in Hamburg geboren. Um die Mutter vor der Deportation zu bewahren, tauchte die Familie in die Illegalität ab. Die Befreiung durch die britische Armee erlebte Giordano im Mai 1945 mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in einem feuchten Hamburger Kellerversteck voller Ratten.

»Hitler war zwar militärisch geschlagen, aber nicht geistig«, stellte der Überlebende schon bald fest. Für ihn einer der Gründe, in Deutschland zu bleiben. »Ich bin angenagelt an dieses Land«, bekannte er. In unzähligen Artikeln, Fernsehreportagen und Büchern hat sich Giordano seitdem mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen befasst.

Die Geschichte seiner Familie verarbeitete Giordano in dem 1982 erschienenen Roman »Die Bertinis«, der vom ZDF verfilmt wurde. Als Fernsehjournalist produzierte er unter anderem Reportagen über den Welthunger, die deutsche Kolonialzeit in Afrika und den Völkermord an den Armeniern. Das Themenspektrum seiner mehr als 20 Bücher reicht von Ostpreußen über die DDR bis zu Israel.

In die Kritik geriet Giordano, als er 2007 öffentlich gegen die Kölner DITIB-Moschee polemisierte und eine »Gigantomanie« und »obszöne« Größe kritisierte. Die Integration der muslimischen Minderheit halte er für gescheitert.

In seinen letzten Jahren äußerte sich der Publizist etwas milder. Er halte den Bau an dieser Stelle immer noch für deplatziert und überdimensioniert. »Aber ich könnte mir schlimmere Bauten vorstellen«, sagte Giordano. Entscheidend blieben für ihn die Fragen, was in der Moschee geschehe und wer dahinter stecke. Seine Kritik richte sich nicht gegen die Muslime, sondern gegen den politischen Islam, betonte er.

Die Produktion seiner großen Werke hielt er bereits einige Jahre vor seinem Tod für abgeschlossen. »Mit den über 20 Büchern habe ich alles gesagt, was ich sagen wollte.« Für sein letztes Werk wählte er einen Titel, den er auch als Bilanz seines Lebens sah: »Von der Leistung, kein Zyniker geworden zu sein«. Noch bis zuletzt bekam Giordano Zuschriften auf seine Bücher. »Insofern kann ich meine Augen eigentlich schließen in dem Bewusstsein, dass etliches von dem, was ich erarbeitet habe, sich vielen Menschen als nützlich erwiesen hat«, sagte er vor seinem 90. Geburtstag dem Evangelischen Pressedienst. epd/nd

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