Geschichte eines endlosen Abstiegs
Am Samstagabend wird »Wetten, dass ...?« zum letzten Mal gesendet
Auch in der alternden Gesellschaft ist nicht alles Junge erstrebenswert. Politisch sehnt man sich im Flachmeer glatter Parlamentarismusverwalter zurück nach Wehner, Fischer, Strauß. Und kulturell? Wir mussten gerade erdulden, wie zwei adrett gescheitelte Nachwuchskräfte die Fernsehinstitution Samstagabendshow den Orkus abwärts spülten. Es schüttelt ja nicht nur Traditionalisten, wenn die Herren Winterscheidt & Heufer-Umlauf, juvenil vermarktet zu Joko & Klaas, als Zukunft des Leitmediums gelten. »Mein bester Feind« hieß die Auskopplung ihrer Kindergeburtstage auf Pro 7, und das Moderationsduo daddelte nicht nur am Rande der Narkotisierung vor sich hin; auch die Quote war ein Desaster. Tagessieger wurde irgendwas mit Kerner plus Kinder im Zweiten, gefolgt von irgendwas mit Maus plus Kinder im Ersten. Sogar in ihrer Zielgruppe bis 50 lagen Joko & Klaas tiefer, was das Gesamtpublikum so eben über die Millionenmarke hob.
Das sind Zahlen, die alle Vorgänger der Adoleszenzverweigerer auf dem ehrwürdigen Sendeplatz seit Heinz Schenks Blauem Bock sogar beim Verlesen der Sitzplatznummern im Saal übertroffen hätten. Vor allem aber sind es welche, die nun ein halbes Jahrhundert später selbst derjenige locker schafft, dem man die Privatfernsehgewächse stets als alternativlos vor die öffentlich-rechtliche Nase hält: Markus Lanz. Heute übrigens zum letzten Mal. Und das nicht, weil Joko & Klaas sich sonderlich aufdrängten, sondern weil Lanz und Samstag ab Sonntag Geschichte sind.
»Wetten, dass …?«, es dürfte sich bis tief ins Expeditionsziel des früheren Antarktisreisenden rumgesprochen haben, wird heute beerdigt. Besser noch: hingerichtet. Auf dem Schafott liegt nicht weniger als die Wurzel des Fernsehens, der Zauber seiner Kindheit. Denn mit dem letzten Lagerfeuer generationenübergreifender Unterhaltung stirbt die Samstagabendshow insgesamt. Und auch wenn andere - Sehgewohnheiten, demografischer Wandel, Neue Medien - ihr den Dolchstoß verpasst haben: Zu Grabe tragen muss sie der unglückselige Markus L.
Schließlich war er es, der dem Ex-Zuschauerkrösus in nur 14 Shows die Quote halbiert hat. Mitte der 1980er Jahre saßen noch gut 24 Millionen Menschen vorm Röhrenbildschirm. Es war die goldene TV-Ära, in der der mediale Fahnenappell siebenmal im Jahr drei von vier fernsehenden Westbürgern und eine nicht erfasste, aber ähnlich beeindruckende Zahl im Osten im ZDF zelebriert wurde.
Die Quote sank das erste Mal, als die private Konkurrenz aufkam, den zweiten Einbruch bescherte das Internet. Letztlich aber ging die Quote auch deshalb zurück, weil ein selbstgerechter Halbgott in lockigem Blond nur noch ums eigene Ego kreiste. Als Markus Lanz den schlingernden Dampfer im Oktober 2012 von Thomas Gottschalk übernahm, war der Untergang daher kaum noch abzuwenden.
Dabei wollte Lanz die Moderaration zunächst gar nicht übernehmen. Andere waren im Gespräch: Jörg Pilawa, Hape Kerkeling, Joko & Klaas. Lanz war dritte Wahl, bestenfalls. Und er bekam gleich mal einen Rucksack nostalgischer Historisierung besserer Fernsehtage auf den Rücken geschnallt, vollgepackt mit Geschichte, die einen Neuanfang gleichermaßen für überfällig und unmöglich machte. Gegen diese Erinnerungskultur kamen weder Cindy aus Marzahn (die Lanz für einige Folgen als Assistentin zur Seite gestellt wurde) noch die Lanz-Challenge an, mit der der Moderator selbst gegen einen Gast aus dem Publikum antrat.
Am längsten hielt Thomas Gottschalk durch: 22 Jahre lang - unterbrochen durch ein knapp zweijähriges Zwischenspiel von Wolfgang Lippert - vermittelte er dem TV-Publikum das wohlige Gefühl, die Sonne drehe sich für ein paar Stunden ums deutsche Wohnzimmer. Mehr als der debütierende Frank Elstner versorgte der »göttliche Bub«, wie Martin Walser den reifen Gottschalk einmal pries, sein Publikum mit Glamour und Bürgersinn zugleich, mit Weltläufigkeit und Provinzialität, manchmal alles in einem Satz. Gegen Gottschalks Gesprächsführung war Lanzens Ranschmeiße grimmepreiswürdig.
Fünf Mal Hugh Grant, elf Mal Iris Berben, gern als Paten von irgendwas mit balancierenden Baggern, zuckersüßen Kindern oder auch mal Buntstiften, deren Farbe ein Satiriker 1988 angeblich am Geschmack erkennen konnte, sorgten regelmäßig für Schlagzeilen. Mit so etwas vertrieb »Wetten, dass …?« nicht nur den Samstag, sondern auch noch den Montag danach, wenn die Sendung in »Bild«, Büro und Schulbank erörtert wurde. Republikweit, schichtenübergreifend, altersunabhängig. Es hatten ja alle gesehen. Alle. Der Zeremonienmeister in Operettenuniform riss zwar die ewig gleichen Witze zu ewig gleichen Wetten der ewig gleichen Gäste, doch das Volk folgte ihm.
Dann aber traf den Gott(schalk) heiterer Belanglosigkeit ein Mutanfall kommerzieller Sender, die vor rund zehn Jahren plötzlich ihre besten Pferde gegen den Platzhirsch ins Rennen schickten. Zwischen den Wok-Rennen und dem Millionenquiz von Stefan Raab wirkten Tommys Anzüglichkeiten nun ebenso aufdringlich wie seine Gummibärchen auf dem Tisch. Die Quoten fielen. Konnte es noch schlimmer kommen?
Es konnte, denn dann kam Lanz.
Und so trauert eigentlich nur noch Lanz’ Urahn um das ledrige Fossil. Frank Elstner wünscht sich unverdrossen die Fortsetzung von »Wetten, dass …?« Nur zu. Dann aber mit »ß« und TED. Wenn schon Nostalgie, dann richtig!
ZDF, Sa., 20.15 Uhr
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