Atmosphäre der Gewalt
Felix Hartlaubs Skizzen »Aus Hitlers Berlin 1934 - 1938« vermitteln genaue Beobachtungen
Im Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Bremen geboren, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bei den Kämpfen in Berlin gestorben - Felix Hartlaub konnte in seinem kurzen Leben nur ein überschaubares Werk hinterlassen. Sein Vater Gustav Friedrich Hartlaub war 1933 von den Nazis aus seinem Amt als Direktor der Mannheimer Kunsthalle gejagt worden. Sein Sohn Felix legte ein Jahr zuvor an der Odenwald-Schule das Abitur ab und wechselte nach einem Jahr an der Handelshochschule Mannheim an die Universität Heidelberg, wo er bei Ludwig Bergsträsser und Karl Jaspers hörte. Ein Jahr später ging er nach Berlin, wo er Romanistik und Geschichte studierte und kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in diesem Fach promovierte.
Aus dieser Berliner Studenten- und Doktorandenzeit stammen die »Literarischen Skizzen«, die der literarisch ambitionierte und hochtalentierte junge Wissenschaftler in dem Bewusstsein verfasste, sein künftiges Leben als Schriftsteller zu gestalten. Teilweise sind diese Skizzen vor Jahren schon einmal veröffentlich worden. Doch einige der in einer schönen Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp erscheinenden kurzen Texte und Karikaturen sind hier zum ersten Mal zugänglich.
Voller Selbstironie beschreibt Hartlaub seine umständliche und meist an seiner eigenen Unzuverlässigkeit scheiternde Zimmersuche, bei der er die ihm fremde Stadt entdeckt. Dann landet er im Studentenhaus in der Oranienburger Straße, unweit der großen Synagoge. Als Flaneur plaudert er aus einer Zeit, in der Franz Hessel, Walter Benjamin oder Tucholsky nicht mehr in Berlin sein konnten. Er verknappt seine »Skripts«, wie das Genre seiner Skizzen im Nachwort bezeichnet wird, aufs Äußerste und erreicht damit eine Genauigkeit, der er nicht etwa seinen literarischen Anspruch opfert. Wenn er über seine Kommilitonen schreibt, sie in »politische« sowie in »Frei- und Zivilstudenten« einteilt, Ausländer ausmacht und die dort damals noch lebenden, scheu gewordenen Juden trifft - stets folgt einer genauen Beobachtung der Punkt. Er schreibt keine politischen Texte, beobachtet die »neue Zeit« aber so genau und findet Worte, die seine Skepsis und auch seine Abneigung nicht verschlüsselt, sondern literarisch deutlich werden lassen. Er war mit Klaus Gysi befreundet, in dessen Mutter Erna verliebt. Aber er engagierte sich nicht politisch, arbeitete an sich als Schriftsteller. Das wollte er werden - und war es nur kurze Zeit.
Die große Stadt hat er schnell gut verstanden. Er findet das einzige Argument, das den anachronistischen Wiederaufbau des Berliner Schlosses rechtfertigen könnte: »Die moskowitisch endlose Fassade des Schlosses, an der der wohlgezielte Stoss [sic!] der Lindenallee zerschellt, der Verkehr rinnt an der schrägen Front ab.«
An dem »Stoß« machen die beiden Herausgeber Nikola Herweg und Harald Tausch in ihrem lesenswerten Nachwort die von Hartlaub empfundene Gewaltatmosphäre der Stadt aus. Aber der unweit des Schlosses an der Linden-Universität Studierende hat auch die städtebauliche Diskretion erkannt, die eben das vor Hunderten von Jahren erbaute Schloss nicht als Fluchtpunkt von »Unter den Linden« aufdringlich frontal an das Ende der Straße stellte, sondern den »Stoß« der Allee mit einer Ecke auffängt und beidseitig ableitet.
Im Krieg war Hartlaub eingezogen, konnte aber durch Protektion von Historikern mit dieser Qualifikation als Sachbearbeiter am Kriegstagesbuch der Oberkommandos der Wehrmacht arbeiten und war nicht unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt, bis er in den letzten Kriegstagen als »letztes Aufgebot« doch noch ein Opfer des Kampfes um Berlin wurde.
Ein Glanzstück der Ausgabe ist die Humoreske »Ein Tag in meinem Leben« aus dem Februar 1937, die sich wie eine literarische Szenenfolge von Loriot liest. Sie endet mit den Worten: »Gegeben zu Berlin-Steglitz. Hornung 1937. Felix Hartlaub. cand.phil.«
Felix Hartlaub: Aus Hitlers Berlin 1934 - 1938. Literarische Skizzen. Mit Zeichnungen des Autors. Aus dem Nachlass herausgegeben von Nikola Herweg und Harald Tausch. Suhrkamp Verlag. 131 S., geb., 18,95 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.