Trubel und Gedenken in Bukarest
Rumänien hält 25 Jahre nach dem Sturz Ceausescus Kurs auf Modernisierung und Verwestlichung
Kurz vor Weihnachten wimmelt es von Menschen in Einkaufsstimmung rund um den Revolutionsplatz. Als es langsam dunkel wird, geht die feierliche Beleuchtung an. Dieses Jahr ist sie pompöser denn je zuvor, sie lässt die frisch renovierten Altbauten der Innenstadt glänzen und lockt die Bukarester in die schicken Läden und Cafés mit dem Charme einer europäischen Metropole.
Ein Reiseführer erklärt einer deutschen Touristengruppe, dass der berüchtigte Diktator Nicolae Ceausescu genau aus diesem Gebäude mit seinem Helikopter fliehen musste, nachdem seine letzte Rede am 22. Dezember 1989 massiv von Buhrufen unterbrochen worden war. »Eigentlich hat alles in Timisoara angefangen, als die Parteiführung László Tökes, einen protestantischen Pfarrer ungarischer Herkunft, wegen seiner regimekritischen Predigten strafversetzen wollte«, erzählt er. »Ceausescu gab der Armee und der Securitate Schießbefehl. Insgesamt sind über 1000 Menschen gestorben.«
Von seinem Bronzepferd blickt Karl I. von Hohenzollern, der erste König Rumäniens, auf die Menge. Sein damaliges Projekt, das Land einem radikalen Modernisierungs- und Europäisierungsprogramm zu unterziehen, scheint sich fast 150 Jahre nach seiner Thronsteigerung und genau 25 Jahre nach der letzten antitotalitären Revolution verwirklicht zu haben. Wohl nirgendwo anders in der EU bleibt der Enthusiasmus für Europa, Wirtschaftskrise hin oder her, größer als in diesem Balkanland.
Zuletzt wählten die Rumänen einen anderen Deutschen zum Staatspräsidenten. Der versprach ihnen noch mehr Modernisierung und Verwestlichung. Passend dazu fand die Amtseinführung von Klaus Johannis am 21. Dezember statt - und fiel mit den Feierlichkeiten anlässlich des Revolutionstages zusammen.
Großartige Symbolik und Inszenierung mag man in Bukarest. Aber es geht um viel mehr. Die Zeit der staatssozialistischen Diktatur war in Rumänien in vielerlei Hinsicht paradox. »Auf eine kurze internationalistische Phase folgte bald eine stark nationalistische Umorientierung. Ein sehr eigenartiger Kommunismus - fast ohne überzeugte Kommunisten am Anfang und fast ohne Dissidenten am Ende«, mokiert sich der Politologe Stelian Tanase. Er ging in den gefährlichen Stunden vom Dezember 1989 auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren. »Bis auf viel weniger Ausnahmen als in der DDR oder in Ungarn waren wir alle Mitläufer. Es gab einfach keinen nennenswerten Widerstand und das erklärt teilweise auch die Schwierigkeiten, die wir später, in der Transformationsphase, erfahren mussten.«
Auf welcher Basis eine neue Gesellschaft aufgebaut werden kann, war oft umstritten. »1990 fehlte uns ein breiter, fundierter Konsens, was die Richtung der zukünftigen Entwicklung angeht«, stellt der Autor und Verleger Gabriel Liiceanu fest. Bekannte Intellektuelle wie er forderten immer wieder eine grundsätzliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit. Sie erhofften sich eine »Trennung der Wahrheit von der Lüge«, die für gesellschaftliche und politische Klarheit sorgen sollte. Trotz einiger Bemühungen der neuen antikommunistischen Elite blieb das öffentliche Interesse daran eher gering. »Und das nicht nur in Rumänien, sondern auch in Westeuropa«, bedauert der Essayist Andrei Plesu, der Ende der neunziger Jahre Außenminister war.
Auch für den Starautoren Horia-Roman Patapievici ist mangelnde Vergangenheitsbewältigung einer der Hauptgründe dafür, dass sich Rumänien nur mühsam modernisiert: »Auch wenn die heutigen rumänischen Sozialdemokraten weit von der Ideologie ihrer kommunistischen Vorfahrer entfernt sind, haben sie das Netzwerk der alten KP geerbt.«
Der Diskurs führender antikommunistischer Intellektueller wie Liiceanu, Plesu oder Patapievici gilt seit den 90er Jahren als eher rechtsorientierter Konsens der rumänischen Eliten. Er begründete etwa die offizielle Verurteilung des Kommunismus durch das rumänische Parlament, die Rückgabe des verstaatlichen Eigentums an die nach dem Krieg enteigneten Besitzer, zahlreiche Privatisierungen, den NATO- und EU-Beitritt oder die drastischen Sparmaßnamen, die die damalige wirtschaftsliberale Regierung 2010 durchsetzte.
Spätestens seit der Wirtschaftskrise werden die kritischen Stimmen aus dem linken intellektuellen Spektrum lauter. Der Philosophieprofessor Adrian-Paul Iliescu bestreitet, dass die schwierige Transformation Rumäniens hauptsächlich mit Lasten des Staatssozialismus zu tun habe. Vielmehr seien der Elitismus der Modernisierer selbst und ihre mangelhafte demokratische Gesinnung schuld. »Nach dem EU-Beitritt muss sich Rumänien vor allem entwickeln, seine Demokratie vertiefen und das fast feudale Gefälle zwischen Stadt und Land, Arm und Reich überwinden.«
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