Antimilitaristische Knollennasen

Vor 90 Jahren wurde der französische Zeichner Jean Maurice Bosc geboren

  • David Siebert
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Armee als unmenschliche Maschinerie, in der der Einzelne nur als Kanonenfutter dient, war eines der beliebtesten Motive von Jean Maurice Boscs groteskem Humor: Auf einer seiner Zeichnungen wird ein Soldat vom Panzer überrollt, eine andere Karikatur zeigt einen General, der seinem Fahrer einen Orden als rote Rübe vor die Nase hält. Bosc zeichnete auch gerne marschierende Formationen, zum Beispiel eine Truppe, die splitternackt und nur mit Schnürstiefeln bekleidet ist und eine Art groteskes Militär-Cancan-Ballet aufführt. Wegen solch antimilitaristischer Karikaturen handelte sich Bosc im Frankreich der 1950er Jahre immer wieder Probleme ein: Einige Zeitungen lehnten ab, seine Zeichnungen zu publizieren, 1958 wurde er sogar wegen einer angeblich die Armee verunglimpfenden Karikatur zu einer Bewährungsstrafe und Geldbuße verurteilt.

»Boscs bissige Karikaturen könnten auch heute noch problemlos in einer Satirezeitschirift wie ›Charlie Hebdo‹ erscheinen«, meint Thérèse Willer, Kuratorin der Bosc-Austellung im Tomi Ungerer Museum Straßburg. Die Retrospektive mit 250 Originalzeichnungen, Dokumenten und teilweise unveröffentlichten Grafiken ist die erste umfassende Werkschau in seiner Heimat. Dabei gilt der Zeichner, der am 30. Dezember 1924 in Nîmes geboren wurde, als einer der Väter der modernen politischen Satirezeichnung in Frankreich: Er beeinflusste mit seinem lakonisch-sparsamen Illustrationsstil und seinem sarkastisch-politischen Witz nicht nur Zeichner wie Sempé (»Der kleine Nick«) und Claire Bretecher (»Die Frustrierten«), sondern auch nachfolgenden Comickünstler-Generationen, zum Beispiel Cabu, Reiser und Wolinski, die 1969 zum Gründungsteam des linksorientierten, nonkonformistischen Comicmagazin »Charlie Hebdo« gehörten - noch heute eine der wichtigsten Satirezeitschriften Frankreichs.

Boscs Markenzeichen waren sein minimalistisch-reduzierter Zeichenstil - er zeichnete nur die Konturen seiner Figuren, mit ganz wenigen Tuschestrichen, den Rest sparte er aus - sowie die riesigen Knollennasen seiner Figuren, eine Anspielung auf den damaligen Präsidenten Charles de Gaulle, eine der Lieblingszielscheiben seiner Karikaturen. »Bosc verachtete de Gaulles autoritären Politikstil«, erklärt Willer. »Er kritisierte dessen Algerienkrieg ebenso heftig wie seine nukleare Abschreckungspolitik.«

Die Ablehnung von Militär und Obrigkeit jeder Art hatte biographische Gründe: Bosc, ein Sohn einfacher südfranzösischer Landarbeiter, diente als junger Soldat im Indochinakrieg. »Ich bin nach Vietnam gegangen wie andere zwanzig Jahre später nach Kathmandu: aus Langeweile!«, sagte er einmal im Rückblick. Die dreijährige Kriegszeit in Französisch-Indochina traumatisierte ihn schwer, obwohl er als Funker keinen Feindkontakt hatte.

Als er 1948 auf das Weingut der Eltern zurückkehrte, war er ein seelischer Krüppel, der kaum mehr essen wollte und nicht mehr schlafen konnte. Bosc versuchte sich in verschiedenen Berufen, das Zeichnen war aber das einzige, was ihm noch gelingen wollte: »Es war für ihn eine Art Ventil, eine Möglichkeit, Druck abzulassen«, meint Kuratorin Willer.

Obwohl Bosc Autodidakt war und während einer Ausbildung zum Dreher nur einige wenige technische Zeichnungen angefertigte, hatte er mit seinen Karikaturen sofort durchschlagenden Erfolg: 1952 wurde er von der Wochenzeitung »Paris Match« als Zeichner engagiert, für die er dann 18 Jahre zeichnete. Bald kamen zahlreiche weiteren Zeitungen und Magazine hinzu - die Liste reicht von »Le Canard Enchainé« über »Le Nouvel-Observateur« und »L’Express bis hin zu «Playboy», «Daily Telegraph», «Die Zeit» und «Stern». Ab Mitte der 50er Jahre wurden seine Zeichnungen auch in Buchform verlegt, erst in Frankreich, dann in Deutschland, Schweden, Italien, der Schweiz und sogar in Taiwan und der Türkei.

Bosc traf mit seinen - oftmals textlosen - Karikaturen den weltweiten Zeitgeist: In seinen Zeichnungen tauchte der ganze politisch-soziale Kontext auf, der in den folgenden Jahren zur 68er-Bewegung führen sollte: Antikolonialismus, Streiks und Frauenbewegung gehörten genauso zu seinem Themen-Repertoire wie das Aufkommen der Pille und die Liberalisierung des Sex. Ebenso widmete sich Bosc gerne der Absurdität des modernen Alltagsleben - mit zynischem Humor. Vor dem Panorama minimalistisch-skizzierter Stadtlandschaften, Wolkenkratzertürme und Drive-ins zeigt er Protagonisten, die von Technik und Medien überfordert sind: Ein Passant erhängt sich inmitten einer gleichgültigen Menge, ein enthaupteter Fernsehzuschauer betrachtet seinen eigenen Kopf auf der Mattscheibe. Auf einer anderen Zeichnung tragen Passanten Kopfhörer und Radioapparate und marschieren stumm aneinander vorbei.

Sprachlosigkeit war auch das vorherrschende Thema bei Boscs Cartoons über Liebe und Paarbeziehungen, für die er eine eigene Serie mit einer Hauptfigur namens «Blaise» erfand: ein Durchschnittstyp, der nicht so richtig weiß, wie er mit seiner Frau umgehen soll. Die Beziehung der beiden wird doppelbödig geschildert, mit viel Komik, aber auch schwarzem Humor.

Hinter dem Sarkasmus verbarg sich ein sensibler Künstler und ein verletzter Mensch: Bosc litt in Folge seiner Kriegstraumata zeit seines Lebens an psychosomatischen Erkrankungen und Depressionen. Am 3. Mai 1973 nahm er sich, gerade mal 49 Jahre alt, das Leben. Sein künstlerisches Werk, das mehr als 3000 Zeichnungen umfasst, lebt aber fort - das zeigt die Ausstellung in Straßburg eindrucksvoll.

Die Ausstellung «Bosc - Humor mit schwarzer Tinte» wird bis zum 1.März 2015 im Straßburger Museum Tomi Ungerer gezeigt - mit Texttafeln auf Französisch, Englisch und Deutsch

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