Weiterlachen!

Auch nach dem Anschlag auf »Charlie Hebdo« muss die Satire kräftig nach allen Seiten austeilen

  • Heiko Werning
  • Lesedauer: 8 Min.

Humorlosigkeit tötet. Mindestens zwölf Menschen sind ermordet worden, weil die Täter es nicht ertragen wollten, dass Witze gemacht werden, über die sie offenkundig nicht lachen konnten. Kalaschnikows gegen Cartoons. Wie es im Moment aussieht, waren die Terroristen dabei von einem wahnhaften Islamverständnis getrieben.

Das lässt zunächst jeden, der noch halbwegs bei Sinnen ist, fassungslos zurück, entsetzt, schockiert und was der üblichen Worte in solchen Zusammenhängen mehr sind. Besonders, wenn man selbst auch im Witzebergwerk klöppelt und einem klar wird, dass es diesmal die direkten Kollegen erwischt hat. Dabei sind solche Irrsinnstaten, global betrachtet, eher alltäglich - Tausende Hingemeuchelte in Irak, Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria und überall da, wo diese Islam-Fanatiker noch so herumtoben, sind der blutige Beweis. Auch bei »uns« ist das Attentat leider keineswegs singulär, nicht einmal das Ziel ist neu, denn Satiriker und Schriftsteller sind spätestens seit dem Fall Salman Rushdie und später den dänischen Mohammed-Karikaturen im Visier der Fanatiker. Aber Terror lebt weniger von den harten Fakten als von der Symbolkraft. Und da haben die Schlächter von Paris ganze Arbeit geleistet: Zeitpunkt, Ziel, Vorgehensweise, die damit produzierten Bilder - »Charlie Hebdo« hat alle Chancen, zu einem französischen, wahrscheinlich sogar zu einem europäischen Trauma zu werden.

Heiko Wernig

Heiko Werning, geb. 1970, ist Mitglied der satirisch-literarischen Lesebühnen »Reformbühne Heim & Welt« und »Brauseboys« sowie ständiger Mitarbeiter des Satiremagazins »Titanic«. Darüber hinaus schreibt er u.a. für »taz«, »Jungle World« und »neues deutschland«. Seine Bücher, die lustige Geschichten aus dem Krisengebiet und Trendbezirk Berlin-Wedding enthalten, erscheinen in der Edition Tiamat.
 

Es verbessert natürlich nicht gerade das Betriebsklima bei Satirikern, wenn man fürchten muss, dass demnächst statt dem Postboten mit den üblichen Schimpfbriefen gleich der Mann mit dem Raketenwerfer vor der Redaktionstür steht. Somit ist tatsächlich zu befürchten, dass Künstler, Journalisten und Redakteure bei der Frage, wie viel Satire sie sich trauen, bald noch länger zaudern als ohnehin schon. Die eine oder andere Abo-Kündigung mag man noch in Kauf nehmen, dass aber gleich der ganze Laden in die Luft fliegt, scheint dann doch selbst für die zündendste Pointe übertrieben.

Umso wichtiger ist es, dass in den ersten Reaktionen alle maßgeblichen Satiriker und Medien betonen, weiterzumachen wie bisher. Mindestens. »Charlie Hebdo« selbst geht nächste Woche trotz allem mit einer Startauflage von einer Million an die Kioske. Hierzulande versichert »Titanic«-Chefredakteur Tim Wolff, dass man auch weiterhin keine Rücksichten zu nehmen gedenke. Viele Tageszeitungen druckten nach dem Anschlag »Charlie Hebdo«-Cartoons oder Titelbilder ab, andere solidarisierten sich durch symbolische »Ich bin Charlie«-Slogans. Auch die sozialen Medien wurden von Solidaritätsbekundungen für die Satirefreiheit überflutet. Das alles ist gut und richtig. Allerdings bleibt abzuwarten, wie lange es vorhält. Denn so weit her ist es mit dem Satireverständnis meist nicht.

Nur wenige Stunden nach dem Attentat beruhigte der ehemalige »Titanic«-Chefredakteur und heutige Europa-Abgeordnete Martin Sonneborn: »Bei ›Titanic‹ könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur sechs Redakteure.« Während die »Titanic« selbst in einem fingierten Newsticker »in eigener Sache« bekanntgab: »Für 16 Uhr ist in der ›Titanic‹-Redaktion eine Pressekonferenz angesetzt, bei der RTL, Hessischer Rundfunk, ›Frankfurter Rundschau‹ und sämtliche weitere Privat- und Systemmedien anwesend sind. Für Terroristen bietet sich hier die Möglichkeit, nicht nur eine Satireredaktion auszulöschen, sondern auch die gesamte deutsche Lügenpresse. Es gibt Schnittchen (hinterher)!« Die Reaktionen darauf waren, vorsichtig formuliert, gemischt. Pietätlos fanden das viele, unangebracht. Als hätten die »Charlie Hebdo«-Macher selbst nicht sehr ähnlich reagiert. Auch die plakative Titelseite des »Berliner Kuriers« vom Donnerstag, die fast formatfüllend ein in einer blutgefüllten Badewanne sitzendes Mohammed-Männchen aus »Charlie Hebdo« zeigte, dazu die Schlagzeile »Nein! Unsere Freiheit könnt ihr nicht ermorden«, ging vielen zu weit. Es sind dann immer »die Grenzen des guten Geschmacks« (die sonst gern bemühten »verletzten religiösen Gefühle« hätten nach den Vorfällen in Paris wohl doch zu zynisch gewirkt), die da irgendwie überschritten werden. Das allerdings dürfte ziemlich genau auch das Argument der Pariser Killer gewesen sein.

Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob man mit Waffen, Klagen oder Tweets gegen Satire vorgeht, bigott sind viele derzeitige Stellungnahmen dennoch. Wenn etwa der britische Premierminister direkt nach dem Anschlag twittert: »We stand with the French people in the fight against terror and defending the freedom of the press«, wirkt das doch mindestens befremdlich angesichts des rechtsstaatlich nur noch am äußersten Rand gedeckten Vorgehens der britischen Regierung gegen »Guardian«-Journalisten im Zuge der Enthüllungen Edward Snowdens. Dass der Freie-Presse-Terminator Putin sogleich seine Solidarität mit Frankreich versicherte, kann man eigentlich nur selbst als satirischen Coup deuten. Ebenso wie das plötzliche Einstehen der CSU für Satirefreiheit. Im Zuge der Auseinandersetzung um das Pipi-Papst-Cover der »Titanic« vor gerade mal zwei Jahren wollte die bayerische Spaßpartei in Gestalt von Thomas Goppel noch dem damaligen Chefredakteur von »Titanic«, Leo Fischer, die »Lizenz zum Schreiben« entziehen.

Wie überhaupt nun hoffentlich wenigstens dem einen oder anderen Dampfschwätzer seine Äußerungen der Vergangenheit auf die Füße fallen. Der notorische Jan Fleischhauer etwa pöbelte ebenfalls in der Causa Ratzepapst vs. »Titanic«: »Aber wenn man als aufmüpfig gelten will, dann sollte man dabei einen Einsatz wagen. Wie wäre es also, liebe ›Titanic‹-Redaktion, beim nächsten Mal mit einer ordentlichen Mohammed-Karikatur? Dann müsstet ihr in eurem fidelen Studentenbuden-Gejuxe mal ausnahmsweise unter Beweis stellen, dass es euch wirklich ernst ist mit dem Einsatz für den Freiraum der Satire. Das könnte lustig werden. Echt.« Vielleicht erfahren wir ja in seiner nächsten Kolumne, was genau er nun so echt lustig findet, nachdem mit dem Attentat auf die französischen Kollegen seine Gewaltfantasien verwirklicht worden sind. Und ob der Katholenautor Martin Mosebach jetzt auf eine bessere Zukunft hofft? 2012 hatte der noch gefordert, juristisch rigoros gegen Gotteslästerung vorzugehen: »Es wird das soziale Klima fördern, wenn Blasphemie wieder gefährlich wird.« Dann müssten uns ja jetzt kuschelige Zeiten bevorstehen.

Ausnehmend unappetitlich nach dem Anschlag sind auch die Reaktionen vom rechten Rand. Der Querfront-Querschläger Jürgen Elsässer verbreitete: »Wer jetzt noch gegen ›Pegida‹ demonstriert, spuckt auf die Gräber der Toten in Paris.« Der AfD-Opa Alexander Gauland fand, dass die Forderungen von Pegida infolge der Anschläge an »Aktualität und Gewicht« gewönnen, dabei war der dort verbreitete Fremdenhass ja schon zuvor bleischwer. Pegida selbst ruft derweil zum nächsten »großen Abendspaziergang« am kommenden Montag auf: »Bitte mit Trauerflor für die Terror-Opfer von Paris«. Textvorschlag für die schwarze Schleife: »With our Deepest Sympathy for the Families of the Paris-Terror-Victims.« Wahrscheinlich war so schnell in Dresden niemand aufzutreiben, der das ins Französische hätte übersetzen können (und die Sache mit den Bindestrichen - das ist dann doch etwas zu viel abendländische Kultur).

Dabei lag den »Charlie Hebdo«-Machern nichts ferner, als sich von tumben Ausländerfeinden vereinnahmen zu lassen (und schon gleich dreimal nicht von deutschen). Denn die Satirezeitung tat bislang das, was gute Satire tun muss: in alle Richtungen austeilen. Es ist auch kein »islamkritisches« Blatt, wie in manchen deutschen Berichten geschrieben wurde, als handele es sich um einen Ausdruck der »Achse des Guten«. Jedenfalls nicht mehr, als es auch ein christen- und judenkritisches ist. Vor allem aber steht »Charlie Hebdo« in der Tradition der Aufklärung, des Humanismus und damit strikt gegen rechte Parolen und rassistische Verunglimpfungen ganzer Volksgruppen. Was die Blattmacher von Rechtspopulisten hielten, zeigt eine andere Titelseite von ihnen zum »Front National«, auf der einfach nur ein großer brauner Scheißhaufen zu sehen ist.

Dass der Polizist, der versucht hatte, die Attentäter noch zu stoppen, und dessen kaltblütige Exekution das wohl wirkmächtigste Bild dieses Anschlags bleiben wird, selbst Muslim mit Migrationshintergrund war, ist noch so eine bittere Pointe. Es bedarf schon abgründiger Unverfrorenheit oder besonderer Dummheit, ausgerechnet diese Opfer zu den Kronzeugen für eine gegen muslimische Einwanderung insgesamt gerichtete Bewegung zu missbrauchen. Im Fall von Pegida und AfD liegt wohl beides gleichzeitig vor. Was allerdings kein Hindernis dafür sein dürfte, dass sich ihnen womöglich nun noch mehr Deutsche anschließen, sondern eher Lockmittel und Beschleuniger.

Dieselben Leute jedenfalls, die sich jetzt via Pegida solidarisch mit »Charlie Hebdo« zeigen wollen, hätten dasselbe Blatt noch einen Tag zuvor ohne mit der Wimper zu zucken in den »Lügenpresse«-Kanon aufgenommen. Wie aufgeschlossen gerade die Dresdner Dauerspaziergänger gegenüber der abendländischen Satiretradition sind, hatte gerade erst am Montag die Satire-Website »Der Postillon« demonstriert, die in einer Falschmeldung lanciert hatte, die Demonstration sei abgesagt. Die Reaktionen von empörten Pegida-Anhängern darauf klangen so: »Euch sollte man verbieten! Ich hoffe ihr kriegt mal so richtig eins aufs Maul! Hurensöhne« oder »verpisst euch ihr Vaterlendsveräter«. Da werden sich die Angehörigen der ermordeten »Charlie-Hebdo«-Redaktion sicherlich sehr freuen, wenn diese zartfühlenden Freiheitsfreunde ihnen nun ihre tiefe Sympathie versichern.

Wer die Nerven hat, sich durch die Kommentare im Netz aus dem Pegida-Umfeld zu lesen, stößt auf einen geballten Islamhass, der nur mühsam (wenn überhaupt) seine Freude über den Anschlag in Paris unterdrücken kann. Endlich, so heißt es dort, werden die Europäer nun aufwachen, Marine Le Pen oder die AfD wählen und es dem Moslem mal so richtig zeigen. Denn der Islam an sich ist an allem schuld, Christen machen so was ja nicht. Dabei ist das Massaker des Kreuzzüglers Anders Breivik von Oslo und Utøya gerade mal vier Jahre her. Falls sich da überhaupt noch einer der Abendländler dran erinnert, dann wird Breivik als leider psychisch kranker Einzelfall verharmlost, an dessen Taten die ganze Islamhetze selbstredend völlig unschuldig ist. Gleichzeitig wird jedes von Muslimen begangene Verbrechen höhnisch mit dem Wort »Einzelfall« samt Trademark-Zeichen versehen. So schaukeln sich Ausländerfeinde und islamische Fundamentalisten gegenseitig hoch.

Auch wenn es schwerfällt nach den Ereignissen von Paris: Man muss sie einfach auslachen. Die Islamer, die Islamhasser, die Christen, die Juden, die Antisemiten, die besorgten Bürger, die rechtspopulistischen Meinungsmacher, die Bedenkenträger des guten Geschmacks, die Exklusiv-Inhaber irgendwelcher verletzlichen religiösen Gefühle. Wir brauchen noch viel mehr Satire. Auch Satire, die die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet und die religiöse Gefühle verletzt. Gerade die. Solange sie eines ist: lustig. Denn der Humor gibt allen, denen es nicht gegeben ist, sich im Glauben an irgendeine höhere Wesenheit zu verkriechen, eine Möglichkeit, diese Welt dennoch ein wenig besser zu ertragen.

Was nicht leichter werden wird nach diesem siebten Januar.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.