Immer feste druff?
Wie viele witzige Leute es plötzlich gibt. Auch dies könnte eine Gefahr sein
Dummheit ist die Mutter jeder Tragödie. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn auch diese Zeitung nach den Ereignissen von Paris fordert: »Weiterlachen!« - und besonders dazu aufruft, mit Satire, wie es jüngst in einem Text hieß, »religiöse Gefühle« zu verletzen. »Gerade die.« Jawoll, lachen wir auch über Christen und Juden, was das Zeug hält!
Nur leider gehört zur derzeitigen Tragödie, dass nun jedes agnostische Vierteltalent, jedes antireligiöse Halbhirn, jeder kalauernde Prallbacken seinen Rülpser eingemeinden darf in die Ritual-Kultur der antiterroristischen Souveränität. Wie eifrig jetzt der Witz beschworen wird! Wie viele satirisch veranlagte Leute es plötzlich gibt. Wir sind alle Charlie?
»Charlie Hebdo« hatte auch etwas mit Meisterschaft zu tun. Hätten die Mörder von Paris ein Opernhaus überfallen oder einen Wissenschaftsverlag - wahrscheinlich wäre die nachträgliche Identifikation mit Betroffenen, was die geistige Zuschaltung zu ihnen betrifft, weniger massiv ausgefallen. Beim Witz aber haut jeder mit drauf, als sei jeder schon immer sprühend und geistvoll und ein Freund der Satire gewesen. Verletzen ist unser Grundhandwerk, da bedarf es keines Hintersinns und keiner Verfeinerung. Immer feste druff! Ich schlag dich, bis du lachst - religiöses Gefühl, dir mach ich Beine bis in den Himmel! Das geht jetzt auch ein wenig um, oder?
Es ist nur zu hoffen, dass sich in Zukunft genügend Geist findet, auch den heftigsten Befürwortern der gediegenen Verletzungs-Kunst witzige Wunden zu schlagen. Zum Beispiel jenen antideutschen Verbitterungs-Barden, die überall nur das Vierte Reich sehen, die durch ihr schauderhaftes Methodisten-Vokabular stolpern und das schon für linken Stil halten (allein denen »zuliebe« müsste Deutschland jeden Monat eine Fußball-WM gewinnen, unter einem Fahnenhimmel aus Nationalfarben!).
Witzige Wunden zu schlagen sind auch jenen beflissenen Sprachwachtmeistern, die aus dem »Mohr von Venedig« gar zu gern einen venezianischen Militaristen mit Migrationshintergrund machen würden. Oder den Moralist(inn)en, die sich über eine TV-Kamerafahrt entlang der Beine einer FDP-Politikerin echauffieren - wo dies doch ein schöner wie seltener Beleg dafür ist, dass an einer Partei durchaus auch reizvolle Aufwärtsbewegungen zu registrieren sind.
Gerade in der politischen Linken könnte die jetzt so radikal beschworene Wirkkraft der Satire und des Sarkasmus zur Lehrstunde der Selbstbesinnung werden. Denn der wahre Ort des Witzes ist das Unbewusste, Unterbewusste - und das war nie die Sache einer Bewegung, die nur immer aufs Bewusstsein zielte. Und drückte! Der gute Witz sagt, was man nicht mal denken darf. Und links durfte sehr viel nicht (laut) gedacht werden. Wenn nun also aufgerufen wird, religiöse Gefühle zu verletzen, dann gehört dazu auch, alles Linke (auch eine Religion!) kräftig zu rupfen. Und zwar von Linken selbst. Ohne Scheu davor, dass der ominöse »Klassenfeind« mitlacht.
Zur Dialektik der Situation gehört freilich, dass jeder Witz, jede Häme (ungewollt) einen Lockruf zur Unkontrolliertheit enthält, und jeder Aufruf, (satirisch!) religiöse Gefühle zu verletzen, reizt unwillkürlich gefährlich auch die Oberfläche unserer Empfindungen. So beteuern wir die Kraft, die Heilwirkung des Witzes, aber möglicherweise geben wir damit der Unempfindlichkeit, der Kälte, der fahrlässigen Abschätzigkeit neue Nahrung.
Man darf lustvoll Blasphemie betreiben, natürlich, aber im Wirbel jetzt plötzlich enorm aufgeladener Willenskräfte zur Verhöhnung und Verwitzung der Welt sollte niemand missachten, dass tiefe Religiosität, verkrallte Furcht vor Gotteslästerung und fehlender Sinn für Zynismus auch zum Gefühlshaushalt unzähliger Menschen gehören. Wenigstens ganz am Rande des solidarischen Aufschwungs, der die Tragödie von Paris begleitet, sollte dies, leise fragend, angemerkt werden dürfen. Zum Selbstschutz des Sarkastikers gehört, dass er seine Unberührtheit handwerklich definiert. Das ist sein Trick, auch seine Tragik. Wo sie wirklich Kunst wird, ist alles gut. Aber nur dann.
Jetzt sind alle Charlie - und sich scheinbar einig. Wenn die Herzen wieder ruhiger schlagen, kehrt auch die gesunde Ablehnung zurück, die zum (Karikaturen-)Geschäft gehört. Es gibt das Recht, zu verletzen, und es gibt das Recht, auf Satire zu pfeifen und zu spucken. Jene massenhafte Sensibilität, der es an Fähigkeit fehlt, sich an heiklen Stellen der Existenzdeutung wie ein Lachsack zu verhalten - auch sie ist Charlie. Und offenbar ist schon viel Frieden, wenn daraus nur immer wieder Missverständnisse erwachsen, nicht Morde. Das ist der Witz an dieser traurigen Sache.
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