Bis dass der Tod euch scheidet
Im Kino: »Gett« von Ronit und Shlomi Elkabetz
Eins muss man wissen, um diesen Film zu verstehen: dass es in Israel keine zivile Eheschließung gibt - und folglich auch keine zivile Ehescheidung. Es ist ein Rabbinatsgericht, vor dem jede Scheidung verhandelt wird, ob man nun religiös ist oder nicht. Und ist man Frau, dann hat man schon deshalb von vorherein schlechte Karten, seinen Scheidungswillen durchzusetzen. Weil vor diesem Gericht die Bewahrung der jüdischen Familienzelle oberste Priorität und grundsätzlich der Mann das Sagen hat - weshalb folgerichtig keine Scheidung ohne die vorherige Einwilligung des Ehemannes vollzogen werden kann. Wobei das Gericht der Willensbildung nachhelfen darf, indem es einen Ehemann zum Beispiel in Beugehaft nehmen lässt, wenn er wiederholt nicht zum angesetzten Verhandlungstermin erscheint.
»Gett - Der Prozess der Viviane Amsalem« ist der dritte Film einer Trilogie über eine unglückliche Ehe in Israel, den Ronit und Shlomi Elkabetz gemeinsam drehten - sie selbst sind der eher seltene Fall eines kreativen Bruder-Schwester-Gespanns. Ronit Elkabetz spielt selbst die Titelrolle, eine Friseurin und Noch-Ehefrau eines Mannes, von dem sie zu Filmbeginn bereits seit drei Jahren getrennt lebt.
Es wird zwei Stunden Film und fünf lange Jahre vor Gericht dauern, bis am Ende ein reichlich fauler Kompromiss erreicht ist. Mal platzt ein Termin, weil ihr Mann Elisha (Simon Abkarian) gar nicht erschienen ist. Mal ist der Ehemann erschienen, verweigert aber jeden Kompromiss und lässt sich von seinem Schlawiner von Bruder (Sasson Gabay) verteidigen, der ständig neue Wege findet, am Leumund seiner doch so sehr verehrten Schwägerin zu kratzen. Mal kapitulieren die Richter vor seinem Starrsinn und vertagen den Fall, mal wird ihnen die unbeugsame Entschlossenheit der Scheidungswilligen zu viel: Ihr Mann hat sie nicht geschlagen oder hungern lassen, warum also sollte sie ein Recht haben, ein selbstbestimmtes Leben einzufordern? Und sind sich alle Beteiligten eigentlich wirklich sicher, dass Viviane Amsalem, diese gut aussehende Frau, sich in den Jahren der Trennung keinen außerehelichen Fehltritt erlaubte? Welchen Einfluss das dann wiederum auf die Entscheidungsfindung des Gerichtes hätte, bleibt leider im Dunkeln.
Die Zermürbungstaktiken sind Teil eines Machtkampfs, den Elisha mit seiner Frau ausficht, ein hohler Besitzanspruch, der ihn zu passiv-aggressiver Gegenwehr gegen ihre Ausbruchsversuche bewegt. Wenn ihr die Flucht aus dieser Ehe erlaubt würde, hinterließe das einen Makel an seiner Reputation als perfektem Mann und Ehemann. Und das darf nicht sein. Dass sie ihr Erwachsenenleben lang gearbeitet hat und eigenes Geld verdient, dass die Ehe arrangiert war und von vorherein nicht glücklich, dass er religiös ist und sie nicht oder jedenfalls nicht mehr - es spielt alles keine Rolle. Das Gericht verordnet zunächst eine halbjährige Versöhnung auf Probe. Wenn auch die scheitere, könne man ja weitersehen.
Sie fügt sich, hält es drei Monate aus, dann sitzt sie wieder vor Gericht. Dort und im Vorraum spielt der ganze Film: ein klaustrophobes Kammerspiel mit reduzierten Requisiten und einer stets aus der subjektiven Perspektive einer der Figuren filmenden Kamera um einen unglaublichen sozialen Skandal, der in Israel anscheinend bis heute der Normalfall ist.
Wenn ihr Betragen nicht gefällt, wird sie von den orthodoxen Richtern schon mal rüde zurechtgewiesen: als »Frau« tituliert zu werden, wenn damit nicht spezifisch der eheliche Stand gemeint ist, sondern allgemeiner das Geschlecht der Angesprochenen, ist in diesem Kontext eine klare Herabwürdigung. Der Erhalt der bestehenden Ordnung geht vor, so unglücklich die Ehe auch sein mag - selbst wenn, wie hier, drei der vier Kinder längst außerhalb des Elternhauses leben.
Dass ihr Anwalt (Menashe Noy) ohne Kopfbedeckung vor Gericht erscheint, trägt auch ihm eine Rüge ein. Dass er möglicherweise heimlich in seine Klientin verliebt ist, wird ihm zum Vorwurf gemacht - und wird ihr zum Verhängnis. Dabei verteidigt selbst dieser ansonsten sehr integre Mann sie einmal mit dem schönen Spruch, für einen anderen Ehemann als den ihren wäre sie sicher bereit gewesen, (weiterhin) die Perücke der strenggläubigen Orthodoxen zu tragen. Ihr Mann aber, wie sie sephardischer Jude, der gelegentlich - und sehr zum Ärger des Gerichts - seitab auf Französisch beißende Worte mit ihr wechselt, will weniger seine Frau zurück als einfach nur gewinnen. Und wie es aussieht, hat er alle rechtlichen Mittel dazu in der Hand.
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