»Landwirtschaft muss wieder versorgen«
Kirsten Tackmann fordert weniger Marktkonzentration bei Lebensmitteln
Am Wochenende demonstrierten rund 40 000 Menschen für eine Agrarwende. Was hat die Bewegung Ihrer Meinung nach erreicht?
Nachdem sie lange ignoriert wurde, ist es ein Erfolg, dass heute eingestanden wird, wir haben ein Problem. Gleichzeitig hat sich noch zu wenig geändert. Mir fehlt allerdings in der Debatte, an den Ursachen anzusetzen statt Symptome zu bekämpfen.
Woran machen Sie das fest?
Ich würde mir wünschen, dass stärker die Frage nach den Profiteuren des bisherigen Systems gestellt wird. So wie der Lebensmittelmarkt organisiert ist, haben Bauern wenig Chancen, den Freiraum zu bekommen, den sie betriebswirtschaftlichen brauchen. Wenn selbst das Kartellamt hier eine ungesunde Marktkonzentration feststellt, dann müssen wir auf dieser Ebene handeln.
Auch die Bauern sind gefragt ...
Sicher, auch sie müssen Verantwortung übernehmen. Nicht nur die Verbraucher sind entkoppelt von der Natur, auch die Landwirtschaft ist durch ihren Fokus auf den Weltmarkt nicht mehr nah an der Natur. Aber ich erlebe immer wieder, dass in den Betrieben schon viel über Veränderungen nachgedacht wird. Hier muss sich auch auf Funktionärsebene etwas ändern. Weder kann der Bauernverband für alle Landwirte sprechen noch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Wir brauchen vielmehr einen gesellschaftlichen Dialog.
Was muss sich ändern?
Wir tun immer so, als ob Lebensmittel unendlich verfügbar sind, weil wir permanenten Zugang zum Weltmarkt haben. Von dieser Mentalität müssen wir wieder weg. Landwirtschaft muss in ihre Versorgungsfunktion zurückgeführt werden - auch über eine stärkere Verankerung in den Regionen. Die Rückkopplung in die ländlichen Räume muss wieder stärker stattfinden. Hier gibt es spannende Ansätze wie die solidarische Landwirtschaft.
Wo sehen Sie weitere Ansätze?
Es gibt einen guten Prozess beim Tierschutz. Mittlerweile agieren wir nicht mehr nach Schema F, sondern fragen, ob die Tiere sich wirklich wohl fühlen. Wobei auch diese Debatte manchmal zu stark darauf gerichtet ist, was wir denken, was für das Tier gut ist. Beispiel Hühner: Die brauchen nicht nur Auslauf, sondern auch Möglichkeiten zur Deckung. Eine riesige Weide allein hat mit Wohlbefinden nichts zu tun. Der Linkspartei geht es dabei nicht nur um Betriebsgrößen. Ein kleiner Betrieb hält Tiere nicht zwangsläufig besser, aber es gibt Obergrenzen. Allein die Tierseuchengefahr rechtfertigt das. Ich halte es nicht für verantwortbar, wenn bei Verdacht auf Schweinepest 40 000 gesunde Schweine getötet werden müssen, um eine Ausbreitung zu verhindern.
Was ist eine gute Größe?
Hierfür können wir nur Kriterien aufstellen. Neben der Tierseuchensituation ist das etwa die Frage nach Standortgerechtigkeit, also der Belastung durch Entsorgung vor Ort oder die Futterversorgung. Langfristig müssen wir eine Versorgung aus heimischen Futtermitteln realisieren. Ich halte es für gesellschaftlich nicht vertretbar, Futtermittel aus Brasilien einzukaufen, die unter sozial und ökologisch schwierigen Bedingungen hergestellt wurden - für Schweine, die wir hier mästen, aber nicht brauchen, sondern nach China exportieren.
Hieran eng geknüpft ist die Frage der Bodenpolitik.
Wir haben eine zunehmende Konzentration von Bodeneigentum, das ist ebenso problematisch wie die horrenden Preise. Für uns LINKE ist Boden keine herkömmliche Ware wie Handys oder Autos, sondern eine natürliche Ressource.
Boden hat auch eine ökologische Komponente, für 2015 steht die neue Düngemittelverordnung an.
Da muss sich was ändern, aber ich bin für eine differenzierte Betrachtung. Wir müssen gucken, was ist die historische Belastung mit Stickstoff wie in Ostdeutschland und was ist die aktuelle wie in Niedersachsen. Ich bin gegen pauschale Auflagen. Wir sprechen uns für eine Hoftorbilanz aus, die möglichst differenziert die konkrete Situation berücksichtigt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.