Als Inhalt gähnt die Leere
»Death and Disaster« - Andy Warhol in den Kunstsammlungen Chemnitz
Dumme Künstler, die es ja auch gibt und reichlich genug, begreifen das Dilemma der Gesellschaft, in der sie sich befinden, als Problem anderer Leute. Undumme Künstler haben es am eigenen Leib erfahren, bevor sie sich an die Lösung machen.
Andy Warhol hat wahrscheinlich nie von Adorno gehört. Dass Kunst unter den Bedingungen der »verwalteten Welt« immerzu im Begriff ist, auf das Niveau von Reklame oder Propaganda zu sinken, kriegte er nicht durch Lektüre des Kulturindustriekapitels der »Dialektik der Aufklärung« mit, sondern leicht verdreht als Vorwurf, er selbst sei ja eigentlich gar kein richtiger Künstler, sondern bloß ein Werbegrafiker, der nebenbei ein bisschen auf Kunst macht.
Der damals gängige Weg in die Verweigerung der Indienstnahme war ihm somit von Anfang an verwehrt. Der Brotberuf hing ihm an. Hätte er etwa abstrakt expressionistisch gemalt, wäre es ihm immer nur als Abreaktion seiner berufsbedingten Verdrängungen vorgekommen. Ja, er machte sich die Vorhaltungen der Kunstwelt zueigen, wie wir das immer alle mit den Vorhaltungen der Angepassten gegenüber dem Unpassenden halten sollten, was wir meist auch tun. Verweigerung - im Bauch der Bestie? Der Kapitalismus hat einen guten Magen und lässt so gut wie nichts aus bei der Vereinnahmung. Gerade rebellische Gesten schätzt die Werbeindustrie.
Blieb also für Andy Warhol nur die Flucht nach vorn. Reklame für nichts als für sich selbst. Was sollen wir denn nun kaufen? Das Bild, was sonst! Zu teuer? Tja. That’s art stupid.
Kunst, meinen Warhols Bilder (was er selbst meinte, steht auf einem anderen Blatt), Kunst könne sich nur von der Werbung lösen, wenn sie exakt wie Werbung aussehe, aber die Werbebotschaft ins Leere laufen ließe. Dann werde nämlich die Leere zum Thema - einem uralten Thema der Kunstgeschichte: Tod und Unheil, Herausgerissenheit aus den Zusammenhängen, Abgrund, Loch in der Welt und im Weltbild ... »Death and Disaster« - so der Titel der Chemnitzer Ausstellung - bezeichnet, so gesehen, auch nicht einfach eine »Werkgruppe«, sondern benennt, worum es bei Warhol überhaupt und immer geht. Auch die bunten »Marilyns« und Suppendosen und Silberkissen, auf die diesmal ausdrücklich verzichtet wird, sind keine lebensfrohen Bilder. Überall gähnt die Leere als Inhalt.
Ein elektrischer Stuhl ist kein gefälliges Motiv. Dunkelpink auf Hellpink gedruckt, mit einem hübschen Kontrast dazu, eignet er sich als innenarchitektonischer Kontrapunkt, der höchstens die Frage aufwirft: Wie halbseiden ist das denn? Keine Frage sonst. Beunruhigung als Luxus - wenn das keine Gesellschaftsdiagnose ist.
Selbst gegenwärtig gerade mal wieder »aktuell« wirkende Siebdrucke wie der auf Ereignisse bei der Birmingham-Kampagne der Amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hinweisende sind nicht deshalb politische Arbeiten, weil sie politische Vorgänge zeigen, das tun sie nämlich nicht, sondern weil in ihnen der Umgang mit dem Empörenden sinnfällig wird. Das groß aufgezogene Zeitungsfoto von Polizei-Hundeführern, die auf schwarze Demonstranten einprügeln, weist vor allem auf seinen rasch vergänglichen Verkaufswert: Heute Skandal - morgen Zeitung von gestern.
Der Druck eines Bildes von immer demselben Sieb wird zusehends fadenscheiniger, die Farbe weniger. Doch unverdrossen wird weitergemacht, eins neben und unter das andre gesetzt. Erst wenn’s eindeutig lange zu spät ist, kommt neue Farbe hinzu. Man kann das als »Stirb und Werde« deuten, aber auch als Darstellung von Trauerarbeit. Oder einfach als Restaurierung, Nachnutzung, Aufpolieren. Mit Adorno: » ... denen das Sterben misslungen ist«.
Die Chemnitzer Ausstellung wird ihrem Thema gerecht, wenngleich der Kenner einige Motive, die noch gepasst hätten, vermisst. Es gibt einen schönen Katalog und ein Begleitprogramm mit Vorträgen und Film. Als erste europäische Museumsausstellung, die auf Vorschlag von Heiner Bastian, dem Kurator der Schau, ausschließlich diesem Thema gewidmet ist, ließ »Warhol Death and Disaster« die lokale Presse gar fragen, ob dieses Ereignis Chemnitz nun zu einer Kulturstadt mache. Wenn das kein Erfolg ist.
Nichtsdestotrotz kommt etwas Wehmut auf. Der Massenkonsum, an dessen Ausdrucksformen sich Warhol abarbeitete, erscheint heute, zu Zeiten postindustrieller Ausbeutung und finanzkapitalistischer Veitstänze, als eine ziemlich antiquierte, fast schon idyllische Welt. Ja, damals ging’s noch hübsch neurotisch zu. Heute ist man schon zu depressiv, einen »Skull« (Totenkopf) auszuhalten.
Bis zum 22. Februar in den Kunstsammlungen Chemnitz, Museum am Theaterplatz, Di-So, 11-18 Uhr, Katalog 26 €.
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