Wenn der Lohn nicht zum Essen reicht
3,1 Millionen Menschen leben trotz ihrer Erwerbsarbeit unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze / Für über 400.000 ist richtiges Heizen zu teuer
Das Phänomen der arbeitenden Armen hat längst auch in Deutschland Einzug gehalten. Bekannt ist, dass es etwa 1,3 Millionen sogenannte Aufstocker gibt – Menschen, die arbeiten und wegen des niedrigen Lohns zugleich Hartz IV beziehen. Die Anzahl der armutsgefährdeten Erwerbstätigen liegt jedoch viel höher, wie eine Anfrage der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, beim Statistischen Bundesamt ergab. Demnach beziehen 3,1 Millionen Erwerbstätige ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle. Diese lag in Deutschland im Jahr 2013 bei 979 Euro im Monat.
Laut den Daten wuchs in keiner anderen Gruppe die Anzahl der von Armut Betroffenen so stark wie bei den Erwerbstätigen. Seit 2008 ist die Anzahl der Erwerbstätigen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle um 630 000 Menschen gewachsen – ein Plus von 25 Prozent.
Die von den amtlichen Statistikern definierte Armutsgefährdungsschwelle ist ein relatives Maß. Gemäß dem EU-Standard liegt sie bei 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Privathaushalte in einem Land oder einer Region. Personen, deren Äquivalenzeinkommen unter diesem Wert liegt, werden als (relativ) einkommensarm eingestuft.
Laut Statistischem Bundesamt liegt die Armutsgefährdungsquote hierzulande bei Arbeitslosen mit 69,2 Prozent deutlich höher als bei den Erwerbstätigen mit 8,6 Prozent. Aber im Zeitverlauf ist die Anzahl der armutsgefährdeten Erwerbstätigen am stärksten gestiegen – von 2,48 Millionen im Jahr 2008 auf 3,11 Millionen im Jahr 2013. Die Anzahl von Armut betroffenen Erwerbslosen nahm in diesem Zeitraum wegen der zurückgehenden Arbeitslosigkeit von 2,29 auf 2,06 Millionen leicht ab.
380 000 der von Armut betroffenen Erwerbstätigen können laut den Angaben aus Wiesbaden die Miete nicht rechtzeitig bezahlen, 420 000 ihre Wohnung nicht angemessen heizen. 560 000 nehmen nur jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit ein. Für 1,5 Millionen ist eine längere Urlaubsreise nicht vorstellbar. Zwei Millionen können kein Geld für Notfälle zurücklegen.
»Diese Zahlen machen betroffen und wütend«, kritisiert die Linkspolitikerin Zimmermann. »Es ist wichtig, dass der Mindestlohn jetzt ordentlich umgesetzt und nicht weiter aufgeweicht wird, wie es die Union will.« Außerdem reichten bei vielen die 8,50 Euro nicht, um aus der Armut herauszukommen. Daher müsse der Mindestlohn »schnell auf 10 Euro erhöht werden«. Die Vizefraktionsvorsitzende fordert gleichzeitig »flächendeckend geltende Tarifverträge mit Löhnen, die deutlich darüber liegen«. Die Politik müsse unterstützend eingreifen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Befristungen, Leiharbeit oder Minijobs eindämmen oder abschaffen.
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