Artenschutz für ein Edelgas
Wissenschaftler warnen: Bei fortgesetzter extensiver Nutzung könnte Helium auf der Erde bald knapp werden
Im Periodensystem der Elemente steht es nach Wasserstoff (H) an zweiter Stelle. Und es ist, ebenfalls nach Wasserstoff, das zweithäufigste Element im Universum: das Edelgas Helium (He), das immerhin 23 Prozent der sichtbaren Materie ausmacht. Das meiste davon entstand bereits in den ersten drei Minuten nach dem Urknall; aber auch heute wird Helium in den Sternen durch Kernfusion gebildet.
Auf der Erde kommt es dagegen nur in geringer Konzentration vor. Denn Helium ist sehr leicht und aufgrund seiner extremen Reaktionsträgheit nicht fähig, sich dauerhaft mit anderen Elementen zu verbinden. Es entweicht deshalb größtenteils in den Weltraum. Dass Helium auf der Erde überhaupt in nennenswerten Mengen vorkommt, geht in erster Linie auf den radioaktiven Zerfall von Mineralien zurück, bei dem schwere Elemente wie Uran oder Thorium Alphateilchen, sprich Heliumkerne aussenden. Diese entreißen anderen Atomen durch Ionisationsprozesse zwei Elektronen und bauen daraus ihre Hülle. Anschließend sammelt sich das so gebildete Helium in natürlichen Erdgaslagern, in denen die Konzentration des Edelgases bis zu acht Volumenprozent betragen kann.
Da Helium mit -269 °C eine sehr niedrige Siedetemperatur besitzt, lässt es sich durch Kühlung von den anderen im Erdgas enthaltenen Stoffen (Kohlendioxid, Methan, Stickstoff etc.) trennen. Ein Teil des in diesem energieaufwendigen Verfahren gewonnenen reinen Heliums wird komprimiert in Stahlflaschen gelagert, ein anderer Teil kommt in stickstoffgekühlte, doppelwandige Lager- und Transporttanks, die sich per Schiff in alle Welt verfrachten lassen.
Helium wird heute für viele Zwecke benötigt. Zum Beispiel als Füllgas für Ballons und Luftschiffe. Denn es hat eine sehr geringe Dichte, brennt nicht und kann mit Luft gemischt nicht explodieren. In der Schweißtechnik dient es unter anderem dazu, die Schweißnaht vor Sauerstoff zu schützen. Außerdem hemmt es beim Schweißen von Stahllegierungen die Funkenbildung. In der Intensivmedizin und beim Tauchen in größeren Tiefen wird ein Helium-Sauerstoff-Gemisch (80:20) als Atemgas verwendet. Das Gemisch strömt mit geringerem Widerstand durch Verengungen und lässt sich mithin leichter atmen. Weitere Verwendung findet Helium bei der Reinigung von Raketentanks sowie bei der Herstellung von Siliziumscheiben, sogenannten Wafern, die die Grundlage für Computerchips und Solarzellen bilden. Und, nicht zu vergessen: Wer Helium einatmet, kann danach wie Micky Maus sprechen. In Helium breitet sich der Schall nämlich schneller aus als in gewöhnlicher Luft, wodurch eine höhere Frequenz entsteht und damit eine höhere Tonlage.
Unersetzlich ist Helium vor allem als Kühlmittel. Tatsächlich wird rund ein Viertel des weltweiten Heliumverbrauchs für die Erzeugung extrem tiefer Temperaturen eingesetzt, die zum Beispiel nötig sind, um magnetische Spulen supraleitend zu machen. Praktische Anwendung finden solche Magnete in der Medizintechnik (Kernspin- und Magnetresonanztomografie) sowie beim Betrieb von großen Teilchenbeschleunigern. Überdies setzt man flüssiges Helium zur Kühlung von hochempfindlichen Infrarotkameras in Weltraumteleskopen ein, da diese nur in der Nähe des absoluten Nullpunkts der Temperatur (-273,15 °C) ohne störende Eigenwärme arbeiten können.
Angesichts der Fülle von Einsatzmöglichkeiten verwundert es nicht, dass der Bedarf an Helium kontinuierlich steigt, um etwa vier Prozent pro Jahr. Und genau hier liegt das Problem. Denn für die Heliumgewinnung ist nicht jedes Erdgas geeignet. Als heliumreich gilt dieses nur, wenn es mehr als 0,3 Prozent des begehrten Elements enthält. Solche Erdgasvorkommen gibt es in Kanada, Russland, Algerien, Katar und in den USA, die seit Jahrzehnten den weltweiten Heliummarkt dominieren. Zur Sicherheit ließ das US-Militär während des Kalten Krieges in der Nähe von Amarillo (Bundesstaat Texas) eine gewaltige unterirdische Heliumreserve einlagern, die vorübergehend das Zehnfache des Weltbedarfs ausmachte.
In den 1990er Jahren änderten die USA ihre Heliumpolitik und begannen, ihre gehorteten Vorräte zu veräußern, pro Jahr etwa 60 Millionen Kubikmeter. Nach dem von der Clinton-Regierung 1996 beschlossenen »Helium Privatization Act« sollte der Verkauf innerhalb von zehn Jahren abgeschlossen sein. Das führte rasch zu einem dramatischen Preisverfall bei Helium und zu einem Rückgang der Produktion. Ob zum Aufblasen von Luftballons bei Geburtstagen oder zur Füllung überdimensionaler Plastikfiguren bei Paraden, billiges Helium stand reichlich zur Verfügung. Dabei hatte der US-Physiknobelpreisträger Robert Richardson bereits 1996 gewarnt: Wenn man weiterhin so verschwenderisch mit Helium umgehe, werde man davon in 30 Jahren kaum noch Vorräte haben.
Die Folgen der verfehlten Heliumpolitik sind bis heute weltweit spürbar. In Deutschland kam es bereits kurz nach der Jahrtausendwende zu erheblichen Engpässen bei der Versorgung mit dem begehrten Edelgas, wie Dirk Lindackers vom Dresdner Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) bestätigt: »Wir haben mehrmals eine vereinbarte Lieferung nicht bekommen.« Dabei sind Ausfälle in der Heliumversorgung alles andere als leicht zu verkraften. Das gilt für die wissenschaftliche Forschung ebenso wie für den Bereich der medizinischen Diagnostik. Denn der supraleitende Magnet eines Tomographen lässt sich nicht einfach abschalten, wenn das Kühlmittel fehlt. Er muss vielmehr langsam entladen werden. Und auch der Neustart dauert mehrere Wochen, in denen sich notfalls keine bildgebenden Untersuchungen an Patienten durchführen lassen.
Ähnlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges könnte Helium auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem heiß umkämpften Rohstoff werden. Für Europa ist derzeit Algerien das wichtigste Lieferland, in dem es vor zwei Jahren zu einem deutlichen Einbruch bei der Heliumerzeugung aus Erdgas kam. Zwar hat sich die Lage auf dem Heliummarkt durch die Erschließung neuer Erdgasförderstätten in den USA, Katar und Russland etwas entspannt. Gleichwohl suchen Wissenschaftler weiter nach Möglichkeiten, das vorhandene Helium sparsamer einzusetzen und gegebenenfalls wirtschaftlich zu recyceln. Zumal auch die Preise für das begehrte Edelgas inzwischen wieder deutlich angezogen haben.
Am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung hat man das Problem der Heliumverknappung auf technologischem Weg gelöst. Dirk Lindackers, der Bereichsleiter für Forschungstechnik, erklärt das so: Für viele Laborexperimente in der Festkörperphysik ist flüssiges Helium als Kühlmittel unverzichtbar. Nach den Gesetzen der Thermodynamik erwärmt sich dieses jedoch im Verlauf der Experimente und verdampft. Doch statt es wie früher in die Luft abzublasen, wird das wertvolle Gas in einem speziellen Rohrleitungssystem aufgefangen und in einer Recyclinganlage wieder verflüssigt. Zwar ist nicht zu vermeiden, dass in dem geschlossenen Kreislauf Heliumgas verloren geht, durch undichte Stellen zum Beispiel. Allerdings lassen sich die Verluste auf etwa 10 Prozent der ursprünglich eingesetzten Heliummenge begrenzen. Im IFW habe es dank der permanenten Rückverflüssigung seit 2009 keinen Engpass bei der Heliumversorgung mehr gegeben, sagt Lindackers nicht ohne Stolz.
Vom Prinzip her könnte man Helium auch in Kernreaktoren erzeugen. Beschießt man darin Lithium mit Neutronen, entsteht neben dem Heliumisotop He-4 auch superschwerer Wasserstoff (Tritium), aus dem sich durch Betazerfall das Heliumisotop He-3 bildet. Diese Methode ist jedoch sehr teuer, und auch die Mengen an He-3, die man aus dem Tritium gewarteter und verschrotteter US-Atomwaffen gewinnt, sind überschaubar. All das lässt nur einen Schluss zu: Will man auf der Erde auch künftig über ausreichende Mengen an Helium verfügen, gibt es derzeit keinen anderen Weg, als die vorhandenen Ressourcen möglichst schonend einzusetzen und gegebenenfalls zu recyceln.
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